02_In einem anderen Buch
müssen sehen,
dass wir das absolut richtig begreifen.«
»Die Sonne stand niedrig«, sagte der Fahrer, »und außerdem
hat er hin und her geschwankt. Direkt vor mir.«
»Männliches Schuldverweigerungs-Syndrom«, erklärte mein
Vater. »Von 2054 an ist das eine medizinisch anerkannte
Krankheit.«
Dad fasste mich am Arm. Es erfolgte eine Serie von schnellen
Blitzen, es krachte und dann waren wir ungefähr eine halbe
Meile und fünf Minuten entfernt von unserem vorhergehenden
Standort, in der Richtung, aus der der Fahrradfahrer gekommen
war. Er strampelte an uns vorbei und winkte vergnügt.
Wir erwiderten das Winken und sahen ihm nach, als er davonfuhr.
»Willst du ihn nicht anhalten?«
»Ich hab es versucht. Funktioniert nicht. Ich hab ihm das
Fahrrad gestohlen, da hat er sich eins geliehen. Umleitungsschilder hat er glatt ignoriert, und ein Lottogewinn hat ihn auch
nicht gestoppt. Ich hab alles versucht. Die Zeit ist der Klebstoff
des Kosmos, Thursday, und man muss ihn ganz behutsam
auseinander nehmen, sonst geht es schief. Wenn man die Dinge
forciert, dann knallen sie einem an die Schläfenlappen wie ein
Kohlkopf aus sechs Schritt Entfernung. Ich muss mich beeilen.
Lavoisier hat mich jetzt wahrscheinlich bereits erfasst. Der
Wagen kommt in achtunddreißig Sekunden. Lass dich mitnehmen und versuch dein Bestes.«
»Warte!« sagte ich. »Was soll denn danach aus mir werden?«
»Ich bring dich zurück, sobald der Fahrradfahrer in Sicherheit ist.«
»Aber wohin?« fragte ich. Ich hatte keinerlei Bedürfnis, zu
dem Moment zurückzukehren, den ich verlassen hatte. »Der
Scharfschütze, Dad, vergiss das bitte nicht! Kannst du mich
nicht etwas weiter zurückversetzen? So eine halbe Stunde früher, sagen wir mal?«
Er lächelte und zwinkerte mir zu. »Grüß deine Mutter. Vielen Dank für deine Hilfe. Nun ja, die Zeit wartet auf niemanden,
wie wir –«
Und damit war er weg, hatte sich einfach in Luft aufgelöst.
Ich wartete einen Moment, dann streckte ich den Daumen
hoch, um den sich nähernden Jaguar anzuhalten. Der Wagen
wurde langsamer und hielt. Der Fahrer ahnte nichts von dem
bevorstehenden Unfall, er lächelte und lud mich ein, an Bord zu
hüpfen.
Ich sagte nichts, stieg ein, und wir brausten davon.
»Ich hab das Schätzchen heute Morgen erst geholt«, sagte der
junge Mann mehr zu sich selbst als zu mir. »Drei-KommaAcht-Liter mit dreifachen DCOE Webers. Sechs Zylinder
schnurrende Raubkatze – einfach wunderbar!«
»Passen Sie auf den Radfahrer auf«, sagte ich, als wir um die
Kurve kamen. Der Fahrer trat auf die Bremse und schleuderte
an dem Mann auf dem Fahrrad vorbei.
»Verdammte Radfahrer!« fluchte er. »Gefährden sich selbst
und alle anderen. Wo wollen Sie hin, junge Frau?«
»Ich, äh … besuche meinen Vater«, erklärte ich durchaus
wahrheitsgemäß.
»Wo wohnt er denn?«
»Überall«, sagte ich.
»–Funkgerät ist auch ausgefallen«, erklärte Bowden und drehte
an den Knöpfen. »Merkwürdig.«
Ich bückte mich und hob die Fahrkarte auf, als sich hoch über mir auf dem Stahl-Gleis der Skyrail näherte.
»Was haben Sie vor?« fragte Bowden.
»Ich nehme den Skyrail. Da oben ist ein Neandertaler. Der
hat ein Problem.«
»Woher wissen Sie das?«
Ich runzelte die Stirn. »Nennen Sie es diesmal ein déjà vu. Es
wird etwas passieren – und ich nehme daran teil.«
Ich ließ meinen Partner zurück, ging mit eiligen Schritten
zum Bahnhof, zeigte dem Schaffner mein Ticket und stieg die
Stufen zum Bahnsteig hinauf. Die Türen des Zuges öffneten
sich, ich stieg ein und wusste diesmal genau, was ich tun musste.
4a.
Fünf Zufälle, sieben Irma Cohens und eine
verwirrte Thursday Next
Das Neandertal-Experiment war zugleich der Höhe-und
der Tiefpunkt der genetischen Revolution. Ein Erfolg war es
insofern, als es gelang, diesen längst ausgestorbenen Cousin
des Homo sapiens zurückzuzüchten, gleichzeitig aber auch
ein Fehlschlag, weil die Wissenschaftler, die das Experiment
in ihren Elfenbeintürmen verfolgten, nicht weitsichtig genug gewesen waren, um zu begreifen, dass eine neue
menschliche Spezies erhebliche soziale Probleme in der
Welt auslösen musste, die solche Wesen seit dreißigtausend
Jahren nicht mehr gesehen hatte. Dabei war es doch gar
nicht sonderlich überraschend, dass viele Neandertaler auf
die Zwänge des modernen Lebens nicht vorbereitet und
dementsprechend verwirrt waren. Der Homo sapiens erwies
sich als höchst
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