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02_In einem anderen Buch

02_In einem anderen Buch

Titel: 02_In einem anderen Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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ungefähr zwanzig Tage pro Tag – jede Minute dauert nur drei Sekunden. Wenn wir langsamer wären,
    würden wir sichtbar. Aber bei diesem Tempo denkt ein aufmerksamer Beobachter vielleicht mal, dass hier unter dem
    Baum ein Mann und eine Frau sitzen, aber wenn er einen
    zweiten Blick auf uns wirft, sind wir schon weg. Ist dir das nicht
    auch schon passiert? Dass du dachtest, du siehst jemand, aber
    wenn du noch einmal hinschaust, ist er weg?«
    »Sicher.«
    »Das sind meistens ChronoGardisten auf der beschleunigten
    Durchreise.«
    Die Dämmerung kam herauf, und alsbald kam eine Patrouille der deutschen Wehrmacht vorbei. Sie entdeckten unser
    verlassenes Fahrzeug und begannen nach uns zu suchen.
    Schließlich riefen sie einen Abschleppwagen und ließen den
    Humber abtransportieren. Weitere Autos rasten vorbei, und die
    Wolken fegten über den Himmel.
    »Das ist doch nett, oder?« sagte mein Vater. »Ich vermisse es
    manchmal richtig, denn ich habe meistens so wenig Zeit. Bei
    Tempo fünfzig müssten wir bis zu Landens Unfall immer noch
    drei oder vier Tage warten, und ich hab' einen Zahnarzttermin,
    da müssen wir bisschen Dampf machen.«
    Die Wolken rasten noch schneller, und die Autos und Fußgänger waren nur noch flüchtige Schemen. Die Schatten der
    Bäume drehten und verlängerten sich in der Nachmittagssonne,
    und alsbald war es Abend. Die Sterne erschienen, der Mond
    schlug einen Bogen am Himmel, im Osten wurde es heller und
    schon stieg die Sonne des nächsten Morgens herauf.
    »So, jetzt sind wir bei Tempo achteinhalbtausend«, erklärte
    mein Vater. »Achte mal auf die Blätter. Das finde ich immer so
    schön.«
    Sonnenauf-und -untergänge folgten jetzt im Zehnsekundentakt. Die Fußgänger waren für uns genauso unsichtbar wie wir
    für sie, und damit ein Auto überhaupt sichtbar wurde, musste
    es mindestens zwei Stunden parken. Aber die Blätter! Sie verfärbten sich vor unseren Augen: erst grün, dann gelb, dann
    braun. Das sanfte Flirren der Zweige, der Fluss ein Spiegel ohne
    das mindeste Kräuseln. Der Farn starb neben uns ab, der Himmel wurde von einer geschlossenen Wolkendecke überzogen,
    die Tage wurden kürzer, die Dunkelheit länger. Eine Zeit lang
    stand ein verlassener Kübelwagen am Ufer. Erst wurde er von
    unsichtbaren Plünderern in seine Einzelteile zerlegt, dann
    verschwanden die Überreste im Fluss.
    »Das würde mir ja nie langweilig werden. Reist du immer so,
    Dad?«
    »Nein, so langsam eigentlich nie. Das ist etwas für Touristen.
    Wir benutzen in der Regel Geschwindigkeiten von zehn Milliarden Protags, und wenn man rückwärts reisen will, muss man
    noch schneller sein.«
    »Rückwärts reisen, indem man schneller nach vorn reist?«
    sagte ich. Ich war verwirrt, denn das schien mir irgendwie
    unlogisch.
    »Ich glaube, das reicht fürs Erste, meine kleine Kichererbse.
    Du hast für heute genug gelernt. Schau einfach zu, und genieß
    es.«
    Ich rückte näher zu ihm heran, denn jetzt wurde es kälter
    und eine Schneedecke legte sich über die Straße und unser
    Wäldchen.
    »Schönes Neues Jahr!« sagte mein Vater.
    »Schneeglöckchen!« rief ich entzückt, als der Schnee zurückwich und die zarten Triebe aus der Erde drangen. Dann war der
    Schnee ganz weg, das Wasser im Fluss stieg wieder und Treibholz blieb an dem umgestürzten Wrack des Kübelwagens hängen, der vor unseren Augen zu verrosten begann. Die Sonne
    flitzte immer höher am Himmel vorbei, und bald erschienen
    auch Narzissen und Krokusse.
    »Oh!« sagte ich erschrocken, als mir ein Birkenschössling im
    Hosenbein hochwuchs.
    »Du musst sie vom Körper wegdrücken«, erklärte mein Vater
    und schob eine Brombeerranke beiseite, die seine Hand zu
    umschlingen versuchte. Der Birkenschössling drängte sich an
    mein Bein wie eine kleine Raupe, ließ sich aber mühelos ablenken. Auch die anderen Pflanzen, die mich bedrängten, ließen
    sich ohne weiteres wegschieben, aber mein Vater ging noch
    einen Schritt weiter und schürzte seine Brombeerranke zu einer
    niedlichen Schleife.
    »Ich habe Auszubildende gesehen, die regelrecht festwuchsen«, erklärte mein Vater. »Den Ausdruck Wurzeln schlagen
    hast du ja bestimmt schon gehört. Aber man kann damit auch
    seinen Spaß haben. Wir hatten mal eine Kollegin namens Jekyll,
    die für ihren Freund eine vierhundertjährige Eiche zu einem
    Herz bog.«
    Die Luft war wieder wärmer geworden. Mein Vater zog seinen Chronographen heraus, und unsere Geschwindigkeit
    verringerte sich. Die acht

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