02 Jesses Maria: Wechseljahre
dem Tag wusste ich das aber noch nicht und suchte vergeblich nach einem Papiertuch, um meinen Handrücken wieder sauber zu wischen.
Die Schachtel, in der die kostenlosen Kosmetiktücher stecken sollten, war leer.
Ich hatte in meiner weißen Lederhandtasche nach einem Tempo gesucht und dabei bereits Pink auf die Vorderseite der teuren Tasche geschmiert. Ich war fast am heulen. Ich trug den guten wollweißen Mohairmantel und hatte die Ärmel hochgeschoben, damit ich die nicht auch noch versaue.
So lief ich durch den Drogeriemarkt und suchte eine Verkäuferin. Beim Hundefutter saß eine auf einer Fußbank und sortierte Chappibüchsen ein.
„Entschuldigung“, sagte ich und sie reagierte nicht.
„Entschuldigung!“
Nichts.
Ich tippte ihr auf die Schulter, dabei rutschte mein Ärmel runter und wischte über meinen pink gestreiften Handrücken. Natürlich war jetzt Lippenstift innen am Ärmel und ich schrie vor Wut auf.
Genau in dem Moment riss Yasemin Rullkötter - der Name war auf ihrem Kittel eingestickt - einen kleinen Kopfhörer aus ihrem Ohr und glotzte mich ärgerlich an.
„Ja?“, sagte sie und ich konnte sehen, dass ihr Kaugummi rosa war.
„Ich suche was zum Abputzen!“, sagte ich.
„Klopapier zweite Reihe nach dem Vogelfutter rechte Seite“, sagte Yasemin Rullkötter und steckte den Kopfhörer wieder in ihr Ohr.
In dem Moment hatte ich es zum ersten Mal.
Mir wurde es plötzlich mittig im Rücken heiß, es kribbelte überall wie tausend Stecknadeln, und innerhalb von Sekunden war ich klatschnass. Der Schweiß lief mir in Strömen den Rücken hinunter, Unterhemd, T-Shirt und Strickjacke waren nass, richtig nass!
Die Hitze wanderte nach oben, den Hals hinauf, in den Nacken, durch die Haare, die klebten sofort auf der Haut, meine Wangen glühten, ich hatte das Gefühl, mein Gesicht würde puterrot, die Augen drückten sich nach außen, man hätte sie sicher mit einer Latte abschlagen können, in meinen Ohren rauschte es laut.
Ich schnappte nach Luft, feuerte die weiße Handtasche in den Einkaufswagen, riss den Mantel auf -nachher war ich froh, dass er Druckknöpfe hatte - riss ihn mir vom Leib, versaute dabei den Ärmel total mit Lippenstift, zog die Strickjacke aus, warf sie in den Einkaufswagen, schnappte immer noch nach Luft und kümmerte mich nicht Yasemin Rullkötter, die nun beide Knöpfe aus ihren Ohren genommen hatte und mich mit offenem Mund und rosa Kaugummi darin anstarrte.
Vor mir standen zwei Burschen in komischen Hosen, diesen Sieben-Tage-Kackbeuteln, bei denen die Po-Ritze hinten rausguckt. Bauarbeiter-Dekolleté heißt das, das weiß ich von Eva Hansmeier aus dem Lottoladen. Die beiden Jungs grinsten mich kaugummikauend an. Einer sagte: „Ausziehen, ausziehen!“
Ich hatte die Hand an meinem Hals und schwitzte und keuchte und spürte mein Herz rasen und hätte mich am liebsten wirklich ganz nackig gemacht. Ich konnte kaum klar denken und wollte nach einem Arzt rufen lassen. Doch dann ließ ganz plötzlich alles nach.
Ich wurde wieder ruhig, die Hitze war verschwunden, nur kalter Schweiß blieb auf meiner Haut zurück und meine Augen brannten ein bisschen.
Als die beiden Jungs von der Firma Helly Hansen (das stand auf ihren Jacken eingestickt) sahen, dass ich mich nicht nackt auszog und auch nicht tot umfiel, watschelten sie weiter. Sie gingen steif und breitbeinig, um ihre Buxen nicht zu verlieren. Yasemin Rullkötter stöpselte ihre Knöpfe wieder in die Ohren und drehte mir den Rücken zu.
Ich war sehr beunruhigt und zog mir die Strickjacke und den Mantel wieder an.
Ich musste sofort zum Arzt. Das war ein schrecklicher Anfall gewesen, offenbar ein schwerer Fieberschub, lebensbedrohlich, zweifellos, vor allem, weil er mit dem Verlust des Schamgefühls einherging. Um ein Haar hätte ich mich im Drogeriemarkt bis aufs Hemd ausgezogen!
Am Abend rief ich meine Freundin Conny an.
„Willkommen im Klub!“, sagte Conny, als ich ihr den Anfall minutiös schilderte.
„Wie meinst du das? Ist das eine bekannte Krankheit? Conny, was war das, um Gottes willen, sag mir die Wahrheit!“
„Die Wahrheit ist, dass wir da durch müssen, Maria!“
Ich war entsetzt: „Wir? Du hast das auch?“
„Ja“, sagte Conny, „ungefähr dreißig Mal am Tag und fünf Mal in der Nacht.“
Ich schrie auf. „So oft? Ist das lebensgefährlich? Conny? Ist es eine Seuche? Hab ich wieder was nicht mitgekriegt?“ Ich schwor mir, ab sofort immer die Tagesschau zu gucken und dabei nicht nur beim
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