02 - Keiner werfe den ersten Stein
Helen bekam, und tötete sie, als die Gelegenheit ihm günstig erschien.«
Barbara traute ihren Ohren nicht. Wie geschickt er die Fakten verdrehte und interpretierte, um sie seiner Theorie von Davies-Jones' Schuld anzupassen.
»Aber warum denn?« fuhr sie ihn gereizt an.
»Weil zwischen Darrow und Davies-Jones eine Verbindung besteht. Ich weiß noch nicht, welcher Art sie ist. Vielleicht eine alte Beziehung. Vielleicht eine unbeglichene Schuld. Vielleicht geheimes gemeinsames Wissen. Ganz gleich, was es ist, wir werden der Sache auf die Spur kommen.«
12
Es war kurz vor der nachmittäglichen Schließung, als Lynley und Babara Havers ins Wine 's the Plough traten. John Darrow machte kein Hehl daraus, daß sie ihm nicht willkommen waren.
»Wir schließen«, blaffte er.
Lynley ignorierte die in den kurzen Worten des Mannes enthaltene Weigerung, mit ihnen zu sprechen. Er ging zum Tresen, schlug die Akte auf und nahm Hannah Darrows Abschiedsbrief heraus. Barbara, die sich neben ihn stellte, klappte ihren Block auf. Darrow beobachtete alles mit feindselig verkniffenem Mund.
»Sagen Sie mir etwas darüber«, meinte Lynley und schob den Zettel über die Theke.
Darrow warf einen mürrischen Blick darauf, äußerte sich jedoch nicht, sondern machte sich daran, die Biergläser einzusammeln, die auf dem Tresen standen, und sie mit grimmiger Miene in eine Schüssel mit trübem Wasser zu tauchen.
»Was für eine Schulbildung hatte Ihre Frau, Mr. Darrow? Hatte sie einen Abschluß? War sie auf der Universität? Oder hatte sie sich selbst weitergebildet? Hatte sie vielleicht viel gelesen?«
Darrows mißtrauischer Blick verriet, daß er nach einer Falle hinter Lynleys Worten suchte. Da er offenbar keine entdecken konnte, sagte er kurz: »Hannah hatte für Bücher nichts übrig. Und mit fünfzehn hatte sie von der Schule genug.«
»Aha. Aber sie war wohl eine Naturliebhaberin? Interessierte sich für die Pflanzen hier und die Landschaft?«
Darrow verzog verächtlich den Mund. »Worauf wollen Sie hinaus? Reden Sie und verschwinden Sie dann endlich.« »Sie schreibt hier von Bäumen. Von einem Baum, der gestorben ist, aber sich immer noch im Wind wiegt. Ziemlich poetisch, finden Sie nicht? Selbst für einen Abschiedsbrief. Was ist das in Wirklichkeit für ein Brief, Darrow? Wann hat Ihre Frau ihn geschrieben? Wo haben Sie ihn gefunden?«
Darrow gab keine Antwort, fuhr fort, schweigend seine Gläser zu spülen.
»An dem Abend, als sie starb, schlossen Sie Ihr Pub. Warum?«
»Weil ich sie gesucht hab. Ich war oben in der Wohnung und fand das da« - Darrow wies mit einer kurzen Kopfbewegung auf den Brief - »in der Küche. Da bin ich losgezogen, um sie zu suchen.«
»Wo?«
»Im Dorf.«
»Sie haben bei den Nachbarn angeklopft? In die Ställe und Scheunen geschaut? Die Häuser durchsucht?«
»Quatsch. Sie hätte sich doch nie bei irgend jemand im Haus umgebracht.«
»Und Sie wußten mit Sicherheit, daß sie sich das Leben nehmen wollte?«
»Das steht doch drin!«
»Richtig. Wo haben Sie sie also gesucht?«
»Da und dort. Ich weiß nicht mehr. Es ist fünfzehn Jahre her. Ich hab damals nicht drauf geachtet. Und jetzt ist es vorbei. Begraben und vergessen. Hab ich mich klar genug ausgedrückt, Mann? Begraben!«
»Es war begraben«, gab Lynley zurück. »Sehr gründlich offenbar. Aber dann kam Joy Sinclair hierher und fing an, alles wieder auszugraben. Es sieht mir sehr danach aus, als hätte das jemanden heftig beunruhigt. Warum hat sie so oft bei Ihnen angerufen, Darrow? Was wollte sie!«
Darrow zog mit zornigem Schwung beide Arme aus dem Spülwasser und klatschte mit den Händen auf den Tresen.
»Das hab ich Ihnen doch schon gesagt. Das Luder wollte mit mir über Hannah reden, aber ich hab nicht mitgemacht. Ich wollte nicht, daß sie die Vergangenheit wieder aufwühlt und unser Leben noch mal durcheinanderbringt. Wir sind drüber weg. Und so bleibt's auch, verdammt noch mal. So, und jetzt hauen Sie endlich ab oder verhaften Sie jemanden.«
Lynley sah Darrow ruhig an, ohne etwas zu sagen, und die Bedeutung von Darrows letzten Worten bekam mit dem Schweigen immer mehr Gewicht. Darrows Gesicht begann sich zu röten. Die Adern in seinen Armen schienen anzuschwellen.
»Ich soll jemanden verhaften«, bemerkte Lynley schließlich. »Merkwürdig, daß gerade Sie das vorschlagen, Mr. Darrow. Warum sollte ich für einen Selbstmord jemanden verhaften? Aber wir wissen ja beide, daß es kein Selbstmord war. Und ich glaube, Joy
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