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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Frau, die so etwas je tun würde. Das wußte er sehr wohl.
    »Ah ja. Das ist nett.« Er senkte den Blick und nahm die Tasse von einer Hand in die andere. Als er wieder sprach, war sein Ton verändert, bewußt leicht und obenhin. »Dann komm mit in den Zuschauerraum. Viel zu sehen gibt's da allerdings nicht, da wir praktisch überhaupt nichts geklärt haben. Aber dafür hat es kräftig gefunkt. Joanna hat ihrem Mann den ganzen Morgen mit endlosen Beschwerden in den Ohren gelegen, die er für sie an den Mann bringen soll, und Gabriel hat versucht, die Wogen zu glätten, hat es aber nur geschafft, alle vor den Kopf zu stoßen, insbesondere Irene. Es würde mich nicht wundern, wenn sich die Besprechung zu einer handfesten Schlägerei auswächst, aber sie hat auch einen gewissen Unterhaltungswert. Na, kommst du mit?«
    Helen war klar, daß sie nach der Ausrede, die sie für ihre Anwesenheit im Theater gebraucht hatte, nicht ablehnen konnte, darum folgte sie ihm in den dunklen Zuschauerraum und suchte sich einen Platz in der letzten Reihe. Rhys lächelte ihr höflich zu und ging nach vorn zur hell erleuchteten Bühne, wo die Schauspieler, Lord Stinhurst und einige andere Personen um einen runden Tisch saßen und erregt diskutierten.
    »Rhys«, rief sie. Als er sich umdrehte, fragte sie: »Können wir uns heute abend sehen?«
    Die Frage war halb Reue, halb ehrlicher Wunsch, doch sie hätte nicht sagen können, welche der beiden Kräfte die stärkere war. Sie wußte nur, daß sie nicht mit dieser Lüge von ih!scheiden konnte.
    »Tut mir leid, aber ich kann nicht, Helen. Ich habe eine Besprechung mit Stuart - Lord Stinhurst - über die neue Produktion.«
    »Ach ja, natürlich. Daran habe ich gar nicht gedacht. Aber vielleicht -«
    »Morgen abend? Zum Essen, wenn es dir paßt? Wenn du möchtest.«
    »Ich - ja. Ja, gerne. Wirklich.«
    Er stand im Schatten, so daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Sie konnte nur seine Worte hören und die fragende Zärtlichkeit in seinem Ton. Das Timbre seiner Stimme verriet ihr, wie schwer es ihm fiel, überhaupt zu sprechen.
    »Helen, als ich heute morgen aufwachte, wußte ich mit absoluter Gewißheit, daß ich dich liebe. So sehr. Ich verstehe es nicht, aber ich weiß keinen Moment in meinem Leben, der so beängstigend für mich war.«
    »Rhys -«
    »Nein. Bitte. Sag es mir morgen.« Mit einer entschiedenen Bewegung wandte er sich ab und ging nach vorn, die wenigen Stufen hinauf, um sich zu den anderen zu gesellen.
    Helen zwang sich, ihren Blick auf die Bühne zu richten, aber ihre Gedanken gingen andere Wege. Hartnäckig kreisten sie um die Frage, wem eigentlich ihre Loyalität galt. Wenn diese Begegnung mit Rhys eine Prüfung ihres Vertrauens zu ihm gewesen sein sollte, dann hatte sie, das erkannte sie, ohne darüber nachdenken zu müssen, kläglich versagt. Und sie fragte sich, ob dieses Versagen das Schlimmste bedeutete, ob sie tief im Inneren vielleicht doch unsicher war, was Rhys in jener Nacht auf Westerbrae, während sie geschlafen hatte, wirklich getan hatte. Der Gedanke war erschreckend. Sie verachtete sich selbst dafür.
    Nach einer Weile stand sie auf, ging wieder ins Foyer hinaus und näherte sich den Büros. Sie beschloß, auf alle Bemäntelungen zu verzichten. Sie würde Stinhursts Sekretärin einfach mit der Wahrheit gegenübertreten.

    »Der Stuhl ist es, Havers«, sagte Lynley wieder, vielleicht zum vierten oder fünften Mal.
    Der Nachmittag war bissig kalt geworden. Ein eisiger Wind blies vom Meer herein und fegte über die Fens. Lynley bog in Richtung Porthill Green ab, als Barbara gerade ihre dritte Besichtigung der Polizeifotos abgeschlossen hatte und sie wieder in die Akte über den Fall Darrow legte, die Chief Constable Plater ihnen ausgeliehen hatte.
    Innerlich schüttelte sie den Kopf. Soweit sie sehen konnte, war seine Beweisführung kaum zu halten. »Mir ist schleierhaft, wie Sie aufgrund eines Fotos von einem Stuhl zu so einer klaren Folgerung kommen können«, sagte sie.
    »Dann sehen Sie sich das Foto noch einmal an. Wie soll sie, wenn sie sich selbst erhängt hat, den Stuhl so umgestoßen haben, daß er auf die Seite fiel? Das ist unmöglich. Sie hätte ihn von hinten anstoßen können, sie hätte ihn sogar seitlich drehen und die Rückenlehne anstoßen können - der Stuhl wäre immer nach rückwärts gekippt und nicht auf die Seite. Einzig wenn sie ihren Fuß in den Raum zwischen Rückenlehne und Sitzfläche geschoben und den Stuhl richtiggehend

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