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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ich nicht, Stuart, ich nicht! Du hast mich zur Hure gemacht, um einen Toten zu schützen. Du hast mich geopfert. O Gott, wie konntest du nur?«
    Stinhurst schüttelte den Kopf. Seine Worte kamen stoßweise und mühsam. »Er ist nicht tot. Nein, er ist keineswegs tot. Er lebt, er befindet sich mit uns in diesem Zimmer. Verzeih mir, wenn du kannst. Ich war mein Leben lang ein Feigling. Ich wollte nur mich selbst schützen.«
    »Aber wovor denn? Du hast doch nichts getan! Stuart, um Gottes willen! Du hast in der Nacht damals nichts getan. Wie kannst du sagen -«
    »Es ist nicht wahr. Ich konnte es dir nicht sagen.«
    »Was denn? Was denn? Sag es mir jetzt!«
    Stinhurst sah seine Frau lange wortlos an. Es schien beinahe, als versuchte er bei ihr den Mut zu finden, den er brauchte. »Ich habe Geoff angezeigt. Ihr alle habt die Wahrheit über ihn erst damals an dem Silvesterabend erfahren. Aber ich - ich wußte schon seit 1949, daß er ein sowjetischer Agent war.«
    Stinhurst war wie versteinert, während er sprach. Vielleicht fürchtete er, daß schon die kleinste Bewegung den Damm brechen und die aufgestaute Qual von neununddreißig Jahren ihn in einem Schwall überschwemmen würde. Seine Stimme war sachlich, und wenn auch seine Augen sich zusehends röteten, vergoß er doch keine Träne. Lynley ertappte sich bei der Überlegung, ob Stinhurst nach so vielen Jahren der Täuschung und des Betrugs überhaupt noch fähig war zu weinen.
    »Ich wußte schon, als wir noch in Cambridge waren, daß Geoff Marxist war. Er machte kein Geheimnis daraus. Ich dachte, es sei nur eine vorübergehende Phase, und stellte mir vor, was für ein Witz es wäre, wenn ausgerechnet der zukünftige Graf Stinhurst sich dem Kampf des Proletariats verschrieben haben sollte. Ich hatte keine Ahnung davon, daß man seine Neigungen sehr wohl vermerkt und ihn noch während seiner Studienzeit zur Spionage verführt hatte.«
    »Verführt?« fragte Lynley.
    »O ja, es ist ein Prozeß der Verführung«, behauptete Stinhurst. »Eine Kombination aus Schmeichelei und Überredung. Man macht den Leuten weis, daß sie bei den großen Plänen zur Weltveränderung eine wichtige Rolle spielen.«
    »Und wie kamen Sie dahinter?«
    »Ich entdeckte es rein zufällig nach dem Krieg, als wir alle zusammen in Somerset waren. Es war das Wochenende, an dem unser Sohn Alec geboren wurde. Gleich nachdem ich bei meiner Frau und dem Kind gewesen war, machte ich mich auf die Suche nach Geoff. Es war -« Er lächelte seiner Frau zu, das erste und einzige Mal. Ihr Gesicht zeigte keine Reaktion. »Ich war sehr glücklich über die Geburt meines Sohnes. Ich wollte meine Freude mit Geoff teilen. Darum suchte ich ihn und entdeckte ihn schließlich an einem der bevorzugten Plätze unserer Kindheit, in einer verlassenen Hütte in den Quantock Hills. Offenbar hatte er sich in Somerset sehr sicher gefühlt.«
    »Er hatte sich dort mit jemandem getroffen?«
    Stinhurst nickte. »Ich hätte den Mann wahrscheinlich für einen Bauern gehalten und nicht weiter darüber nachgedacht, aber am Tag zuvor hatte ich Geoff im Arbeitszimmer über irgendwelchen Dokumenten sitzen sehen, die alle dick und rot ›Geheim‹ aufgestempelt hatten. Seine Aktentasche lag auf dem Schreibtisch, und er war dabei, die Dokumente in einen Umschlag zu stecken. Es war kein Umschlag vom Gut, und es war auch kein amtlicher Umschlag. Daran erinnere ich mich genau. In dem Moment dachte ich mir nichts dabei, aber als ich ihn in der Hütte überraschte, sah ich, wie er dem Mann, der bei ihm war, eben diesen Umschlag gab. Ich habe später oft gedacht, wenn ich nur eine Minute früher oder später gekommen wäre, hätte ich wahrscheinlich immer geglaubt, der Mann sei irgendeiner unserer Bauern gewesen. So aber, als ich sah, wie der Umschlag die Hände wechselte, vermutete ich sofort das Schlimmste. Natürlich versuchte ich zuerst mir einzureden, es sei nichts als ein merkwürdiges Zusammentreffen, der Umschlag könne unmöglich derselbe sein, den ich im Arbeitszimmer gesehen hatte. Aber wenn es sich nur um einen ganz harmlosen Informationsaustausch gehandelt hätte, warum hätte sich Geoff dann mit diesem Mann draußen in den Quantock Hills treffen müssen, mitten in der Prärie gewissermaßen?«
    »Aber wenn du sie entdeckt hattest«, fragte Marguerite Stinhurst wie benommen, »warum haben sie dann nicht irgendwas unternommen, um - um zu verhindern, daß du dein Wissen ausspieltest?«
    »Sie wußten ja nicht genau, was ich

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