02 - Keiner werfe den ersten Stein
Geist mit anderen Dingen und wartete darauf, daß sie zum Höhepunkt kommen würde, damit er sich dann seinerseits befriedigen konnte. Er schmeichelte sich, in dieser Hinsicht einfühlend und aufmerksam zu sein, rücksichtsvoller als die meisten Männer, weit mehr darauf bedacht, daß auch die Frauen auf ihre Kosten kamen.
»Oooh! Nicht aufhören! Ich halt's nicht aus«, stöhnte Lynette.
Ich auch nicht, dachte Gabriel, als ihre langen Nägel sich wieder in seinen Rücken bohrten. Er war fast am Ende von Hamlets drittem Monolog angelangt, als in ihrem ekstatischen Stöhnen und Schluchzen ihr Körper sich unter dem seinen wölbte. Sie schrie laut. Sie schlug ihm die langen Fingernägel in die Gesäßbacken. Und Gabriel nahm sich vor, in Zukunft Teenager lieber zu meiden.
Lynettes weiteres Verhalten bestärkte ihn in diesem Entschluß. Nachdem sie ihr Vergnügen gehabt hatte, lag sie wie ein Holzklotz unter ihm und wartete passiv und nicht übermäßig geduldig darauf, daß nun auch er endlich zum Ende kam. Er tat ihr den Gefallen rasch, stöhnte im richtigen Moment mit geheuchelter Verzückung ihren Namen und war so froh wie sie, als es vorbei war. Vielleicht, dachte er, würde sich morgen mit der Kostümbildnerin mehr anfangen lassen.
»Mann, das war nicht übel, was?« sagte Lynette gähnend, als es vorbei war. Sie setzte sich auf, schwang die Beine von der Couch und tastete auf dem Boden nach ihren Kleidern.
»Hast du 'ne Ahnung, wie spät's ist?«
Gabriel sah auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. »Viertel nach neun«, antwortete er, und obwohl er sich im Augenblick nichts mehr wünschte, als daß sie ging und er sich gründlich waschen konnte, strich er ihr mit der Hand über den Rücken und murmelte: »Wie wär's morgen abend, Lyn? Ich bin wirklich ganz verrückt nach dir.« Dies nur für den Fall, daß die Kostümbildnerin sich als nicht verführbar erweisen sollte.
Sie kicherte, nahm seine Hand und drückte sie auf ihre Brust. »Geht nicht, Schatz. Heut ist mein Mann unterwegs. Aber morgen kommt er heim.«
Mit einem Ruck setzte sich Gabriel auf. »Dein Mann? Verdammt noch mal, warum hast du mir nicht gesagt, daß du verheiratet bist?«
Lynette kicherte wieder, während sie sich in ihre Jeans zwängte. »Du hast ja nicht gefragt. Er ist Lkw-Fahrer und mindestens drei Nächte in der Woche auf Achse.«
Lieber Gott, ein Lkw-Fahrer. Ein Muskelprotz ohne Hirn wahrscheinlich.
»Hör mal, Lynette«, sagte Gabriel hastig, »laß uns fürs erste mal 'ne Pause einlegen, hm? Ich möchte nicht deinem Mann ins Gehege kommen.«
Sie zuckte gleichgültig die Achseln, schlüpfte in ihr T-Shirt und schüttelte ihr Haar. Wieder vermied er, den Geruch einzuatmen.
»Er is 'n bißchen schwer von kape, weißt du«, bemerkte sie in vertraulichem Ton. »Der merkt nichts. Hauptsache, ich bin immer verfügbar, wenn er zu Hause ist.«
»Trotzdem«, sagte Gabriel nicht überzeugt.
Sie tätschelte seine Wange. »Gib mir Bescheid, wenn du wieder Lust hast. Du bist gar nicht übel. Es dauert ein bißchen, aber das kommt wahrscheinlich vom Alter, hm?«
»Vom Alter?« wiederholte er.
»Klar«, sagte sie fröhlich. »Wenn die Männer in die Jahre kommen, dauert alles ein bißchen länger. Aber das macht mir nichts aus.« Sie bückte sich und tastete auf dem Boden herum. »Hast du meine Handtasche gesehen? - Ach, da ist sie ja. Also dann, ich geh jetzt. Vielleicht klappt's am Sonntag. Da ist mein Alter wieder unterwegs.«
Damit ging sie zur Tür hinaus und ließ ihn im Dunkeln zurück.
Das Alter, dachte er und konnte förmlich das ironische Lachen seiner Mutter hören. Er sah sie vor sich, wie sie sich eine ihrer widerlichen türkischen Zigaretten anzündete und ihn abschätzend betrachtete, ohne selbst eine Miene zu verziehen, ganz neutral. Das war ihr Analytikergesicht, und er haßte es. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, würde sie sagen, das für einen Mann deines Alters typisch ist, Robert. Die Midlife-crisis nennt man das, die Erkenntnis, daß das Alter vor der Tür steht. Man fragt sich plötzlich, ob das schon alles gewesen sei, und möchte noch einmal zu leben anfangen. Man sucht nach neuen Wegen und hat das Bedürfnis, sich neu zu definieren. Bei einem Mann wie dir, der an einer hyperaktiven Libido leidet, geht das leider immer über das Sexuelle. Schade. Das scheint mir dein Dilemma zu sein. Wirklich Pech für deine Frau, die offenbar der einzige ruhende Pol in deinem Leben ist. Aber du hast Angst vor
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