02 - Keiner werfe den ersten Stein
Sie wollte ihren Mann und das Kind verlassen, um mit Davies-Jones zusammenzuleben. Er redete ihr ein, er würde eine Sprechprobe für sie arrangieren, und sie studierte eine Rolle ein, die er für sie ausgewählt hatte. Sie glaubte, nach dem Vorsprechen würde er sie nach London mitnehmen. Aber an dem Abend, als sie mit ihm durchbrennen wollte, hat er sie umgebracht, Helen. Und danach hat er sie in einer alten Mühle aufgehängt. Alle glaubten, es sei Selbstmord gewesen.«
Sie konnte nur flüstern. »Nein. Stinhurst -«
»Stinhurst hatte mit Joy Sinclairs Tod überhaupt nichts zu tun. Joy wollte ein Buch über Hannah Darrow schreiben. Aber sie beging den Fehler, Davies-Jones davon zu erzählen. Sie rief ihn in Wales an. Auf dem Recorder, den wir in ihrer Handtasche fanden, hatte sie sich sogar eine mündliche Notiz gemacht, Helen, die sie daran erinnern sollte, Davies-Jones zu fragen, wie sie John Darrow, Hannahs Ehemann, am besten anpacken solle, um ihn zum Sprechen zu bringen. Verstehst du jetzt? Er wußte die ganze Zeit, daß Joy dieses Buch schreiben wollte. Er wußte es schon im letzten Monat. Darum schlug er Joy vor, sie solle dich als Zimmernachbarin auf Westerbrae verlangen - damit er leichten Zugang zu ihr hatte. Helen, meine Leute sind seit sechs Uhr auf der Suche nach ihm. Sag mir die Wahrheit, ist er bei dir?«
Sie war nicht fähig, auch nur einen Ton hervorzubringen. Ihre Augen brannten, ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihr Magen zusammengekrampft. Und obwohl sie gegen die Erinnerung ankämpfte, hörte sie klar und deutlich Rhys' Stimme und die verdammten Worte, die er auf Westerbrae zu ihr gesagt hatte. »Ich war den Winter über in Norfolk und Suffolk auf Tournee gewesen ... als ich nach London zurückkam, war sie fort.«
»Hannah Darrow hat ein Tagebuch hinterlassen«, fuhr Lynley eindringlich fort. »Und das Programm des Theaterstücks, das sie damals gesehen hat, Drei Schwestern. Ich habe mir beides angesehen. Ich habe alles gelesen. Helen, Darling, bitte, ich sage die Wahrheit.«
In ihrer Benommenheit sah Helen, wie Rhys aufstand, zum Feuer ging und einen Schürhaken nahm. Er warf einen Blick in ihre Richtung. Sein Gesicht war ernst. Nein! Das war ausgeschlossen, absurd! Ihr drohte keine Gefahr, nicht von Rhys, niemals von Rhys. Er war kein Mörder. Er hatte seine Cousine nicht getötet. Er hätte niemals einen Menschen töten können. Aber Tommy sprach immer noch. Und gleichzeitig sah sie, wie Rhys vom Kamin wegging.
»Er ließ sie eine Szene aus dem Stück in ihrer eigenen Handschrift abschreiben und steckte ihr dann einen der Zettel mit entsprechendem Text in die Manteltasche. Als Abschiedsbrief. Aber der Text - er stammte aus dem Stück, gehörte zu der Rolle, die er selbst gespielt hatte. Er spielte den Tusenbach. Er hat drei Menschen getötet, Helen. Gowan ist in meinen Armen gestorben. Helen, bitte antworte mir endlich. Sag es mir. Ist er da?«
Ihre Lippen formten das Wort gegen ihren Willen. »Ja«, sagte sie.
»Er ist da?«
Wieder: »Ja.«
»Und ihr seid allein?«
»Ja.«
»O Gott. Caroline hat frei?«
»Ja.«
Und während Lynley weitersprach, wandte sich Rhys wieder dem Feuer zu, stocherte ein paarmal darin herum, legte ein frisches Scheit auf und setzte sich wieder auf die Couch. Als sie es sah und in aller Deutlichkeit begriff, was sie soeben getan, welche Entscheidung sie soeben gefällt hatte, kamen ihr di!Tränen, und sie wußte, daß sie verloren war.
»Hör mir jetzt genau zu, Helen. Ich möchte ihn überwachen lassen, bis wir den endgültigen Bericht von der Spurensicherung in Strathclyde bekommen. Ich könnte ihn schon vorher festnehmen, aber das würde nichts weiter bringen als einen weiteren Schlagabtausch ohne Resultat. Darum rufe ich jetzt im Yard an. Sie werden einen Constable schicken. Aber es kann zwanzig Minuten dauern. Kannst du ihn solange bei dir festhalten? Fühlst du dich sicher genug, um das zu tun?«
Sie kämpfte gegen Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Sie konnte nicht sprechen.
»Helen! Antworte mir. Schaffst du das? Sag!«
Ihre Lippen waren steif und spröde. »Ja, ja, das schaffe ich schon. Leicht.«
Einen Moment lang hörte sie nichts mehr. Es war, als versuche Lynley die genaue Bedeutung ihrer Antwort auszuloten. Dann fragte er brüsk: »Was erwartet er heute abend von dir?«
Sie antwortete nicht.
»Antworte mir! Will er mit dir schlafen?« Als sie immer noch nichts sagte, rief er: »Helen! Bitte!«
»Na, damit lassen sich doch
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