Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Irene, nicht wahr? Sie war immer eine zu starke Frau für dich. Sie hat dich gefordert, nicht wahr? Sie hat Erwachsenwerden von dir gefordert, und dieser Forderung konntest du dich einfach nicht stellen. Darum hast du dich ihrer Schwester zugewandt - um Irene zu strafen und um dir selbst die Illusion zu erhalten, jung zu sein. Aber alles kann man nicht haben, mein Junge. Die Menschen, die alles haben wollen, stehen am Ende im allgemeinen mit leeren Händen da.
    Und das Schlimmste daran war, daß es stimmte. Stöhnend setzte sich Gabriel auf und begann nach seinen Kleidern zu suchen. Die Tür der Garderobe öffnete sich.
    Er hatte nur noch die Zeit, den Knopf zu drehen, eine massige Gestalt zu erkennen, die sich in der Düsternis des Korridors abzeichnete, hatte nur noch Zeit zu denken, irgend jemand hat sämtliche Lichter im Flur ausgemacht, ehe die Gestalt sich in seine Garderobe stürzte.
    Er roch Whisky, Zigarettenqualm, sauren Schweiß. Dann traf ihn ein Hagel von Schlägen auf Gesicht, Brust und Magen. Er hörte das Krachen seiner eigenen Knochen, schmeckte das Blut in seinem Mund.
    Der Schläger ächzte vor Anstrengung und schnaubte vor Wut. Als er Gabriel das vierte Mal brutal zwischen die Beine schlug, knirschte er: »Behalt deinen dreckigen Schwanz in Zukunft gefälligst in deiner Hose, du Schwein.«
    Gabriel dachte nur noch, nie wieder Teenager, dann verlor er das Bewußtsein.

    Lynley legte den Hörer auf und sah Barbara an. »Es meldet sich niemand«, sagte er. »Wann hat Nkata angerufen?«
    »Viertel nach acht.«
    »Wo war Davies-Jones?«
    »In einem Restaurant in der Nähe von Kensington Bahnhof. Nkata war draußen in einer Telefonzelle.«
    »Und Davies-Jones war allein? Helen war nicht bei ihm? Sind Sie sicher?«
    »Aber ja. Er war allein, Sir.«
    »Sie haben doch mit ihr gesprochen, Havers? Sie haben mit Helen gesprochen, nachdem Davies-Jones gegangen war, nicht wahr?«
    Barbara nickte. Sie war besorgt um ihn. Er sah völlig erschöpft aus.
    »Sie hat mich angerufen, Sir. Gleich nachdem er gegangen war.«
    »Und was hat sie gesagt?«
    Barbara wiederholte noch einmal geduldig, was sie ihm bereits berichtet hatte. »Sie sagte nur, daß er gegangen sei. Als ich das erste Mal bei ihr angerufen habe, habe ich wirklich versucht, sie am Telefon zu halten, wie Sie mich gebeten hatten. Aber sie ist überhaupt nicht darauf eingegangen, Inspector. Sie sagte nur, sie hätte Besuch und ob sie mich später zurückrufen könne. Das war alles. Ich glaube, ehrlich gesagt, sie wollte meine Hilfe nicht.« Barbara sah die Schatten der Unruhe auf Lynleys Gesicht. »Ich glaube«, sagte sie abschließend, »sie wollte das allein machen, Sir. Vielleicht - naja, vielleicht ist er für sie trotz allem nicht der Schuldige.«
    Lynley räusperte sich. »Das glaube ich nicht. Sie hat genau verstanden.«
    Er zog Barbaras Aufzeichnungen über den Schreibtisch zu sich heran. Sie enthielten sowohl die Resultate ihres Verhörs von Stuart Stinhurst als auch die letzten Informationen, die sie von Inspector Macaskin aus Strathclyde erhalten hatte. Er setzte seine Brille auf und begann zu lesen. Im Gebäude war es still geworden. Nur ab und zu war das Läuten eines Telefons zu hören. Eine erhobene Stimme, ein gelegentliches Lachen aus irgendeinem anderen Raum verrieten ihnen, daß sie nicht allein waren. Durch die Fenster drangen die durch den Schnee gedämpften Geräusche der Stadt.
    Barbara setzte sich ihm gegenüber, in der einen Hand Hannah Darrows Tagebuch, in der anderen den Theaterzettel von Drei Schwestern. Sie hatte beides gelesen; jetzt wartete sie auf seine Reaktion auf das Material, das sie während seiner Abwesenheit für ihn vorbereitet hatte.
    Er las mit gerunzelter Stirn. Sein Gesicht wirkte schmal und eingefallen, als hätten die letzten Tage ihn viel Kraft gekostet. Sie wandte den Blick von ihm ab und vertrieb sich die Wartezeit damit, sich in aller Ruhe in seinem Büro umzusehen. Beide Seiten seiner Persönlichkeit hatten hier ihren Ausdruck gefunden. Die Bücherregale mit den Gesetzeskommentaren und richterlichen Fallsammlungen, den forensischen Texten und den Fachbüchern über das Polizeiwesen waren Teil seiner Arbeit, Standardausrüstung eines Mannes, dessen Interesse auf Beruf und Karriere gerichtet war. Doch der Wandschmuck, so spärlich er war, zeigte einen anderen Lynley: Zwei Lithographien mit Szenen aus dem Südwesten Amerikas zeugten von seiner Liebe zu Einfachheit und Ruhe, und die einzige Fotografie, die an

Weitere Kostenlose Bücher