02 - Keiner werfe den ersten Stein
Joy lehnte das ab. Es - na ja, die Auseinandersetzung drohte gewalttätig zu werden, als Rhys in Joys Zimmer rannte und eingriff.«
St. James sah sie perplex an. »Ich verstehe nicht ganz. Kannte denn Joy Sinclair Robert Gabriels Frau? Wußte sie überhaupt, daß er verheiratet war?«
»O ja«, antwortete Helen. »Robert Gabriel war neunzehn Jahre lang mit Irene Sinclair verheiratet, Joys Schwester.«
Inspector Macaskin sperrte die Tür auf und führte Lynley und St. James in Joy Sinclairs Zimmer. Er griff zum Schalter, und zwei bronzene Deckenlampen in Form eingerollter Schlangen tauchten den Raum in helles Licht. Es war ein sehr schönes Zimmer, groß und luftig, mit einer kostbaren Tapete in zarten Gelb- und Grüntönen. Die Einrichtung bestand aus einem breiten Himmelbett, einer antiken Kommode, einem Schrank und mehreren Sesseln. Ein weicher Axminster Teppich, leicht verblichen von langen Dienstjahren, bedeckte die Eichendielen, die unter ihren Füßen leise knarrten.
Zugleich aber war nicht zu verkennen, daß dieser Raum Schauplatz eines brutalen Verbrechens gewesen war. Die kalte Luft war immer noch geschwängert von Blut und Zerstörung. Und sofort wurde das Auge angezogen von dem zerwühlten Bett mit den blutgetränkten Laken und der aufgeschlitzten Matratze, die daran erinnerte, wie die Frau ums Leben gekommen war.
Die drei Männer streiften Gummihandschuhe über. Lynley nahm mit einem einzigen Blick das ganze Zimmer in sich auf, Macaskin steckte die Hauptschlüssel Francesca Gerrards ein, und St. James musterte mit scharfem Blick den entsetzliche!Katafalk.
Während die anderen schweigend dabeistanden, zog St. James einen kleinen Meterstab aus seiner Tasche, beugte sich über das Bett und senkte den Stab vorsichtig in das Loch, das der Dolch gerissen hatte. Die Matratze war ungewöhnlich, ganz mit Wolle gestopft, zweifellos sehr bequem, da das Material dem Druck der Schulter, der Hüften und des Rückens angenehm nachgab. Genauso hatte es auch dem Druck der Mordwaffe nachgegeben und seine Form gehalten, so daß sich die Richtung des Einstichs exakt feststellen ließ.
»Ein Stoß«, bemerkte St. James. »Mit der rechten Hand, von der linken Bettseite aus geführt.«
»Kann es eine Frau gewesen sein?« fragte Macaskin kurz.
»Wenn der Dolch scharf genug war«, antwortete St. James, »war keine besondere Kraft nötig, um einen solchen Stoß zu führen. Ja, es könnte eine Frau gewesen sein.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wie kommt es, daß man sich bei einem solchen Verbrechen eine Frau nicht recht als Täterin vorstellen kann?«
Macaskins Blick ruhte auf dem großen, immer noch feuchten Fleck auf der Matratze. »Scharf, ja. Verdammt scharf«, fügte er düster hinzu. »Müßte der Mörder nicht Blut abbekommen haben?«
»Nicht unbedingt. Ich würde vermuten, daß er Blut an der rechten Hand und am Arm hatte, aber wenn er schnell war und sich mit dem Bettzeug geschützt hat, kann er durchaus mit ein paar Spritzern davongekommen sein. Und die hätten sich, wenn er nicht den Kopf verloren hat, mit Leichtigkeit an einem der Laken abwischen lassen.«
»Und seine Kleider?«
St. James untersuchte die zwei Kopfkissen, legte sie auf einen Sessel und zog das Laken vorsichtig, Zentimeter um Zentimeter, von der Matratze ab. »Es ist gut möglich, daß der Mörder unbekleidet war«, bemerkte er. »Das wäre für ihn das einfachste gewesen. Danach hätte er - oder - sie«, fügte er mit einem Blick zu Macaskin hinzu, »in sein Zimmer zurückgehen können und das Blut mit Wasser und Seife abwaschen können. Wenn er überhaupt etwas abbekommen hatte.«
»Aber das wäre doch riskant gewesen«, wandte Macaskin ein. »Ganz zu schweigen davon, daß es eiskalt gewesen wäre.«
St. James antwortete nicht gleich. Er war dabei, das Loch im Laken mit dem in der Matratze zu vergleichen. »Das ganze Verbrechen war riskant«, sagte er dann. »Joy Sinclair hätte leicht wach werden und um Hilfe schreien können.«
»Vorausgesetzt, sie war überhaupt schon eingeschlafen«, warf Lynley ein. Er stand beim Toilettentisch in der Nähe des Fensters, auf dem alle möglichen Gegenstände durcheinander lagen: Make-up, Haarbürsten, ein Fön, Zellstofftücher, sehr viel Schmuck, darunter drei Ringe, fünf silberne Armreifen und zwei bunte Perlenketten. Ein goldener Kreole lag auf dem Boden.
»St. James«, sagte Lynley, den Blick auf den Tisch gerichtet, »wenn du mit Deborah in ein Hotel gehst, sperrt ihr dann
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