Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
zurechtgelegt?«
    »Du tust das doch.«
    Sie holte zitternd Atem. »Das ist eine Gemeinheit.«
    »Du hast ruhig weitergeschlafen, als er aufstand; du hast ruhig weitergeschlafen, während er eine Zigarette nach der anderen rauchte. Willst du mir jetzt etwa erklären, daß du in Wirklichkeit einen sehr leichten Schlaf hast und es auf jeden Fall gemerkt hättest, wenn Davies-Jones das Zimmer verlassen hätte?«
    »Ich hätte es gemerkt!«
    Lynley warf einen Blick über seine Schulter. »St. James?« fragte er ruhig.
    Bei diesen Worten verlor Helen den letzten Rest ihrer mühsa!bewahrten Beherrschung. Sie sprang auf. Ihr Stuhl kippte um. Mit aller Kraft schlug sie Lynley ins Gesicht. »Du gemeiner, ekelhafter Kerl!« schrie sie und rannte zur Tür. »Du bleibst hier!« befahl Lynley.
    Sie drehte sich um. »Verhaften Sie mich doch, Inspector!« Damit stürmte sie hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
    St. James folgte ihr sofort.

4
    Barbara Havers klappte ihren Block zu, langsam und bedächtig, um Zeit zu gewinnen. Lynley, der ihr gegenüber saß, griff in die Innentasche seine Jacketts. Obwohl seine Wange noch rot war von Helens Schlag, waren seine Hände völlig ruhig. Er zog Zigarettenetui und Feuerzeug heraus, steckte sich eine Zigarette an und reichte beides Barbara hinüber. Sie zündete sich ebenfalls eine an, doch schon nach dem ersten Zug verzog sie angewidert das Gesicht und drückte die Zigarette aus.
    Barbara nahm sich selten Zeit, ihre Gefühle zu analysieren, aber jetzt tat sie es, verwirrt über die Erkenntnis, daß sie bei dem, was sich soeben ereignet hatte, am liebsten eingegriffen hätte. Lynleys Fragen hatten insgesamt durchaus dem Standardverfahren entsprochen, aber die Art und Weise, wie er sie gestellt hatte, und die häßlichen Untertöne in seiner Stimme hatten Barbara so weit gebracht, daß sie am liebsten für Helen Clyde in die Bresche gesprungen wäre. Sie konnte nicht verstehen, warum. Deshalb dachte sie in der plötzlichen Stille, die Helens dramatischem Abgang folgte, darüber nach und entdeckte den Beweggrund: Wertschätzung dieser jungen Frau, die ihr in den Monaten, seit sie mit Lynley zusammenarbeitete, auf vielfältige Art mit Herzlichkeit begegnet war.
    »Ich glaube, Inspector -« Barbara strich mit dem Daumen über eine Falte im Deckel ihres Blocks, »Sie sind eben ganz schön aus der Rolle gefallen.«
    »Jetzt ist gewiß nicht der Moment, mich an Dienstvorschriften zu erinnern«, entgegnete Lynley. Sein Ton war neutral, doch Barbara hörte die mühsam unterdrückte Spannung durch.
    »Das hat überhaupt nichts mit Dienstvorschriften zu tun, sondern mit Anstand und Taktgefühl. Sie haben Helen behandelt wie das letzte Flittchen, Inspector, und wenn Sie mir jetzt sagen, daß sie sich entsprechend verhalten hat, dann sollten Sie vielleicht mal einen kurzen Blick auf ein, zwei dunkle Punkte in Ihrer eigenen bewegten Vergangenheit werfen und sich fragen, wie die sich bei so einer Inquisition, wie Sie sie Helen eben zugemutet haben, darstellen würden.«
    Lynley zog an seiner Zigarette, schien den Geschmack jedoch unangenehm zu finden und drückte sie in dem vollen Aschenbecher aus. Ein wenig Asche wirbelte auf und setzte sich auf seine Manschette. Beide starrten sie stumm auf die schwarzen Flecken auf dem feinen weißen Stoff.
    »Helen hatte das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein«, versetzte Lynley. »Da können wir nicht dran vorbei, Havers. Ich kann Helen keine Sonderbehandlung zugestehen, nur weil ich mit ihr befreundet bin.«
    »Ach was?« fragte Barbara. »Na, da bin ich ja mal gespannt, wie diese äußerst korrekte Einstellung zum Tragen kommen wird, wenn das blaue Blut sich zum vertraulichen Plausch zusammensetzt.«
    »Was reden Sie da?«
    »Ich rede von den Lords Asherton und Stinhurst. Ich kann's kaum erwarten, dabeisein zu dürfen, wenn Sie den edlen Lord genauso in die Zange nehmen wie eben Helen Clyde. Von Aristokrat zu Aristokrat, ein ehemaliger Eton-Schüler zum anderen, ganz unter uns Herrensöhnchen. So läuft das doch normalerweise, oder nicht? Aber wie Sie schon sagten, dies alles wird auf das Verhör selbstverständlich keinen Einfluß haben und nichts daran ändern, daß Lord Stinhurst das Pech hatte, sich zur falschen Zeit am falschen Ort zu befinden.«
    Sie kannte ihn gut genug, um zu sehen, daß er zornig war.
    »Und was genau erwarten Sie von mir, Sergeant? Daß ich die Fakten ignoriere?« Kühl zählte Lynley sie an den Fingern ab. »Die

Weitere Kostenlose Bücher