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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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tödlichen Unfall. Er kam auf der vereisten Straße ins Schleudern und wurde aus der Kurve getragen. Der Wagen überschlug sich. Geoffrey brach sich das Genick. Er - verbrannte im Auto.«
    Sie schwiegen beide. Ein Stück Kohle fiel aus dem Kamin und versengte den Rand des Teppichs. Ein beißender Geruch von verbrannter Wolle stieg auf. Stinhurst fegte die Glut in den Kamin und beendete seinen Bericht.
    »Joy Sinclair war damals hier auf Westerbrae. Sie war über die Feiertage herausgekommen als Schulfreundin von Elizabeth. Sie hörte wohl Teile des Streits mit und reimte sich den Rest zusammen. Sie hatte immer eine wahre Leidenschaft dafür, für gerechten Ausgleich zu sorgen. Hätte sie ein besseres Mittel finden können, um sich an mir dafür zu rächen, daß ich, ohne es zu wollen, Alecs Tod verschuldet hatte?«
    »Aber das war vor zehn Jahren. Warum wartete sie so lange mit ihrer Rache?«
    »Wer war Joy Sinclair vor zehn Jahren? Wie hätte sie damals Rache nehmen können - eine Fünfundzwanzigjährige am Anfang ihrer Karriere? Wer hätte auf sie gehört? Sie war ein Niemand. Aber heute -, eine preisgekrönte Autorin mit einem Ruf für Genauigkeit -, heute hatte sie eine Zuhörerschaft. Und wie schlau sie es angefangen hat!
    In London legte sie uns das eine Stück vor, hierher brachte sie ein ganz anderes mit. Und keiner von uns ahnte etwas, bis wir gestern abend zu lesen begannen. Sogar für die Anwesenheit eines Journalisten hatte sie gesorgt, der sich die Fakten nur herauszupicken brauchte. Es kam allerdings nicht ganz so weit, wie Joy sich das erhofft hatte. Francescas Reaktion bereitete der Lesung ein Ende, ehe die schwärzesten Einzelheiten unserer dunklen Familiengeschichte ans Licht kamen. Und jetzt ist auch das Stück vernichtet.«
    Lynley war erstaunt über die Worte des Mannes, das unverhüllte Schuldbekenntnis, das sie enthielten. Stinhurst mußte doch wissen, wie sehr sie ihn belasteten.
    »Ihnen muß doch klar sein, wie schlecht es wirkt, daß Sie die Manuskripte verbrannt haben«, sagte Lynley.
    Stinhurst blickte kurz ins Feuer. Ein Schatten glitt über seine Stirn und färbte seine Wange dunkel. »Das läßt sich nicht ändern, Thomas. Ich mußte Marguerite und Elizabeth schützen. Das wenigstens schulde ich ihnen. Besonders Elizabeth. Sie sind meine Familie.« Sein Blick traf den Lynleys, stumpf und matt. »Ich sollte denken, daß gerade Sie verstehen können, wieviel einem Mann die Familie bedeutet.«
    Und das Teuflische war, daß er es tatsächlich verstand. Vollkommen.
    Zum ersten Mal fiel Lynley die Tapete mit dem Heckenrosenmuster an den Wänden des Wohnzimmers auf. Die gleiche Tapete schmückte das Damenzimmer seiner Mutter in Howenstow, die gleiche Tapete bedeckte zweifellos die Wände von Damenzimmern, Frühstückszimmern und Wohnzimmern in zahllosen anderen adeligen Häusern in ganz England. Es war ein Muster aus spätviktorianischer Zeit mit mattgelben Rosen, deren rankende Blätter unter der Einwirkung von Alter und Rauch zu einem Graugrün verblaßt waren.
    Ohne sich vorher überhaupt im Zimmer umzusehen, hätte Lynley die Augen schließen und es beschreiben können, so ähnlich war es dem seiner Mutter in ihrem Haus in Cornwall: ein offener Kamin aus Eisen, Marmor und Eiche, auf jedem Ende des Simses eine Porzellanfigur, in einer Ecke eine Standuhr aus Walnußholz, ein kleiner Schrank mit bevorzugte!Büchern. Und immer die Fotografien, auf einem Satinholztisch unter dem Fenster.
    Selbst hier konnte er die Ähnlichkeiten erkennen. Wie klassenspezifisch ihre malerischen Familiengeschichten in Wirklichkeit waren!
    Ja, er verstand. Nur zu gut. Die Belange der Familie, die Verpflichtungen an den großen Namen, hatten einen großen Teil von Lynleys Leben bestimmt. Die Blutsbande schnürten ihn ein; würgten seine Wünsche ab; fesselten ihn an die Tradition und zwangen ihn, an einem Lebensstil von klaustrophobischer Enge festzuhalten. Es gab kein Entrinnen. Selbst wenn man Titel und Besitz aufgab, blieben die Wurzeln. Das Blut.

    Die Beleuchtung des Speisezimmers auf Westerbrae schmeichelte. Im weichen Licht der Messingleuchter an den getäfelten Wänden und der Kandelaber, die in gleichen Abständen auf dem langen, glänzend polierten Mahagonitisch angeordnet waren, sah jeder mindestens zehn Jahre jünger aus. Barbara Havers, die an einem Ende des langen Tisches stand, hatte Inspector Macaskins Plan des Hauses vor sich ausgebreitet. Die Augen zusammengekniffen gegen den Rauch der Zigarette,

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