02 - Keiner werfe den ersten Stein
Elizabeth ab. Sie sah sich suchend um, und schließlich blieb ihr Blick an Jeremy Vinney hängen. »Sie haben sie ihr gar nicht gegeben, stimmt's? Sie haben es mir versprochen, aber Sie haben es nicht getan. Was haben Sie mit der Kette gemacht?«
Vinney, der gerade sein Glas zum Mund führen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. Die stark behaarten, dicken Finger schlossen sich fester um das Glas. Die Beschuldigung traf ihn offensichtlich unvorbereitet. »Wieso? Natürlich habe ich sie ihr gegeben. Machen Sie sich nicht lächerlich?«
»Sie lügen!« rief Elizabeth schrill. »Sie behaupteten, sie wolle niemanden sehen. Und Sie haben sie eingesteckt. Ich weiß doch, daß sie bei Ihnen im Zimmer war. Ich habe Sie beide gehört. Und ich weiß auch, was Sie von ihr wollten. Aber als sie davon nichts wissen wollte, sind Sie ihr in ihr Zimmer nachgelaufen. Sie waren wütend. Sie haben sie umgebracht. Und dann haben Sie gleich auch noch die Perlen genommen.«
Vinney war aufgesprungen, schnell und behende für eine!Mann seines Gewichts. Er versuchte an David Sydeham vorbeizukommen, aber der hielt ihn am Arm fest.
»Sie vertrocknete alte Jungfer!« schrie Vinney wutentbrannt. »Sie haben sie vor lauter Eifersucht wahrscheinlich selber umgebracht. Immer lauschen, immer an fremden Türen schnüffeln und durch Schlüssellöcher gucken. Zu mehr reicht's doch bei Ihnen nicht!«
»Mein Gott, Vinney -«
»Und was haben Sie mit ihr getrieben?« Fleckige Röte färbte Elizabeths zorniges Gesicht. Ihr Mund verzog sich zu einem höhnischen Lächeln. »Sie glaubten wohl, wenn Sie mit ihr schliefen, kämen endlich auch Ihre kreativen Säfte in Wallung?«
»Elizabeth!« flehte Francesca Gerrard.
»Ich weiß genau, warum Sie hierher gekommen sind. Ich weiß, worauf Sie's abgesehen hatten.«
»Sie ist ja verrückt«, murmelte Joanna Ellacourt angewidert.
»Unterstehen Sie sich, so etwas zu sagen!« zischte Lady Stinhurst aufgebracht. »Unterstehen Sie sich! Sie sitzen da wie eine alternde Kleopatra, die Männer braucht, um -«
»Marguerite!« dröhnte die Stimme ihres Mannes. Er brachte mit einem Schlag alle zum Schweigen.
In die Spannung hinein klangen Schritte aus der Halle, und gleich darauf traten die noch fehlenden Gäste des Hauses ein: Sergeant Havers, Helen Clyde, Rhys Davies-Jones. Robert Gabriel kam kaum eine Minute später.
Sein Blick schweifte von der Gruppe beim Kamin zu den anderen beim Getränkewagen, zu Elizabeth und Vinney, die sich mit feindseligen Mienen gegenüberstanden, und er lächelte strahlend. »Dicke Luft hier, hm? Na, wer wird die Situation denn retten?«
»Elizabeth bestimmt nicht«, versetzte Joanna Ellacourt kurz und wandte sich wieder ihrem Drink zu.
Aus dem Augenwinkel sah Lynley, wie Davies-Jones Helen zum Getränkewagen führte und ihr einen trockenen Sherry einschenkte. Er kennt sogar schon ihre Vorlieben, dachte Lynley niedergeschmettert und sagte sich, daß er von diesen Leuten restlos genug hatte.
»Was ist mit den Perlen«, sagte er.
Francesca Gerrard griff nach der Kette billiger rostroter Perlen, die sie um den Hals trug. Sie wirkten knallig auf dem Grün ihrer Bluse. Sie senkte den Kopf und hielt nervös die Hand an den Mund, als wolle sie ihre vorstehenden Zähne verbergen, und begann mit wohlerzogener Zurückhaltung zu sprechen.
»Ich - Es ist meine Schuld, Inspector. Ich muß gestehen, daß ich Elizabeth gestern abend gebeten habe, Joy die Perlen anzubieten. Sie sind natürlich nicht übermäßig kostbar, aber ich dachte, wenn sie Geld braucht -«
»Ich verstehe. Eine Bestechung.«
Francescas Blick flog zu ihrem Bruder. »Stuart, möchtest du nicht ...?« Ihre Stimme war unsicher. Lord Stinhurst antwortete nicht. »Ja. Ich hoffte, sie würde bereit sein, das Stück zurückzuziehen.«
»Sag ihm, wieviel die Perlen wert sind«, mischte sich Elizabeth hitzig ein. »Sag es ihm.«
Francesca verzog leicht angeekelt den Mund, zweifellos nicht gewöhnt, solche Dinge in der Öffentlichkeit zu besprechen. »Sie waren ein Hochzeitsgeschenk von meinem Mann. Sie waren - ausgesuchte Stücke -«
»Sie waren mehr als achttausend Pfund wert«, warf Elizabeth ungeduldig ein.
»Ich hatte immer vor, sie einmal meiner Tochter zu hinterlassen. Aber da ich keine Kinder habe -«
»Sollte die liebe kleine Elizabeth sie bekommen«, vollendete Vinney triumphierend. »Na, wer sonst hat sie wohl aus Joy!Zimmer genommen? Sie hinterhältige Person! Wie raffiniert, mich zu bezichtigen.«
Elizabeth
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