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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gewiß, doch in ihrer strengen Orientierung an einer Norm tadelloser Wohlanständigkeit kalt und steril wie eine Rüstung, die dazu diente, das Leben selbst abzuwehren. Lynley fragte sich, ob die Frau jemals in ausgewaschenen Bluejeans und einem schlabberigen T-Shirt im Haus herumlief. Er bezweifelte es.
    Die Ähnlichkeit mit ihrer Schwester war bemerkenswert. Obwohl er Joy nur auf den schrecklichen Polizeibildern gesehen hatte, erkannte er bei Irene mühelos jene Züge, die den beiden Schwestern gemeinsam gewesen waren und an deren Übereinstimmung die fünf, sechs Jahre Altersunterschied nichts änderten: stark ausgeprägte Wangenknochen, eine breite Stirn, das leicht kantige Kinn. Sie mußte seiner Schätzung nach Anfang vierzig sein, eine statueske Frau mit einem Körper, um den andere Frauen sie ohne Zweifel beneideten und den Männer bewunderten. Sie hatte das Gesicht einer Medea und schwarzes Haar, das links über der Stirn von einer weißen Strähne durchzogen war. Jede auch nur im geringsten unsichere Frau, dachte Lynley, hätte diese Strähne längst gefärbt. Er war nicht einmal sicher, ob Irene dieser Gedanke überhaupt gekommen war. Er musterte sie schweigend. Warum, um alles in der Welt, hatte Robert Gabriel je das Verlangen gehabt, diese Frau zu betrügen?
    »Sicher hat Ihnen schon jemand erzählt, daß meine Schwester und mein Mann im letzten Jahr ein Verhältnis hatten, Inspector«, begann sie mit gedämpfter Stimme. »Es ist ein offenes Geheimnis. Darum kann ich jetzt nicht um sie trauern, wie ich das eigentlich sollte und wie ich das sicher eines Tages tun werde. Aber wenn man sein Leben ausgerechnet von zwe!Menschen zerstört sieht, die man liebt, ist es schwer, zu verzeihen und zu vergessen. Joy brauchte Robert nicht. Aber ich brauchte ihn. Trotzdem nahm sie ihn mir. Und das tut immer noch weh, wenn ich daran denke. Selbst jetzt, in diesem Moment.«
    »War die Beziehung beendet?« fragte Lynley.
    »Ja.« Es war eine Lüge, und wie um das zu vertuschen, sprach sie hastig weiter. »Ich wußte sogar, wann es zwischen ihnen anfing. Auf einem dieser Abendessen, wo alle zuviel tranken und Dinge sagten, die sie sonst nie sagen würden. An dem Abend verkündete Joy, sie hätte noch nie einen Mann gehabt, der sie - drastisch ausgedrückt - in einem Durchgang hätte befriedigen können. Das war natürlich genau die Art von Bemerkung, die Robert - mein Mann - sofort aufgriff. Er sah sie als persönliche Herausforderung, der unverzüglich begegnet werden mußte. Was mir manchmal am meisten weh tut, ist die Tatsache, daß Joy Robert überhaupt nicht liebte. Nach Alec Rintoul hat sie niemanden mehr geliebt.«
    »War sie mit ihm verlobt?«
    »Offiziell nicht. Nach seinem Tod veränderte sie sich völlig.«
    »Inwiefern?«
    »Wie soll ich es erklären?« antwortete sie. »Es war, als wäre sie plötzlich von einem Feuer gepackt, als hätte sie beschlossen, auf Teufel komm raus zu leben. Aber nicht, um sich zu amüsieren. Vielmehr, um sich selbst zu zerstören. Und so viele andere wie möglich mitzureißen. Es war eine richtige Krankheit. Sie hatte ein Abenteuer nach dem anderen, Inspector. Sie wechselte die Männer, wie man so schön sagt, wie die Hemden. Und dabei brachte sie ihnen im Grunde nichts als Haß und Verachtung entgegen. Sie forderte die Männer heraus und wußte doch schon im voraus, daß keiner von ihnen auch nur hoffen konnte, sie Alec vergessen zu machen.«
    Lynley trat zum Bett und legte den Plastikbeutel mit de!Gegenständen aus Joys Handtasche darauf nieder. Irene musterte die Sachen teilnahmslos.
    »Sind das ihre?« fragte sie.
    Er reichte ihr zuerst den Terminkalender. Sie nahm ihn nur widerstrebend, als hätte sie Angst, darin etwas zu entdecken, was sie lieber nicht wissen wollte. Doch sie erklärte ihm die Eintragungen, soweit sie konnte; Termine bei einem Verlag in der Upper Grosvenor Street, der Geburtstag von Irenes Tochter Sally, Joys Termin für die Fertigstellung der ersten drei Kapitel ihres neuen Buchs.
    Lynley wies auf den Namen, der quer über eine ganze Woche geschrieben war. P. Green. »Ein neuer Mann in ihrem Leben?«
    »Peter, Paul, Philip? Ich weiß es nicht, Inspector. Vielleicht wollte sie mit jemandem verreisen, aber ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Wir haben uns nur sehr selten gesprochen, und wenn, sprachen wir meistens nur über geschäftliche Dinge. Sie hätte mir von einem neuen Mann sicher nichts erzählt. Aber wundern würde es mich nicht. Es wäre typisch

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