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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gewesen. Wirklich.« Unglücklich berührte sie einige der anderen Dinge, die Brieftasche, das Streichholzheftchen, die Schlüssel. Sie sagte nichts mehr.
    Lynley schaltete den Taschenrecorder ein. Irene zuckte zusammen, als sie die Stimme ihrer Schwester hörte. Er ließ das Band laufen: heitere Kommentare. Zukunftspläne. Die Stimme, dachte er, während er noch einmal Joy Sinclair zuhörte, klang nicht wie die einer Frau, die nichts als Zerstörung im Sinn gehabt hatte. Irgendwann hob Irene die Hand zu den Augen und senkte den Kopf.
    »Sagt Ihnen irgend etwas davon etwas?« fragte Lynley.
    Irene schüttelte heftig den Kopf, die zweite Lüge.
    Lynley wartete. Sie schien zu versuchen sich vor ihm zurückzuziehen, sich sowohl körperlich als auch emotional tiefer in sich selbst zu verkriechen.
    »So werden Sie sie nicht los, Irene«, sagte er leise. »Ich weiß, daß Sie das möchten. Aber so geht es nicht. Sie wird Sie nicht loslassen.« Er sah, wie die Hand am Kopf sich verkrampfte, die Fingernägel sich ins Fleisch gruben. »Sie brauchen ihr das, was sie Ihnen angetan hat, nicht zu verzeihen. Aber tun Sie nicht etwas, wofür Sie dann sich selbst nicht verzeihen können.«
    »Ich kann Ihnen nicht helfen.« Irenes Stimme klang verzweifelt. »Es tut mir nicht leid, daß sie tot ist. Wie soll ich Ihnen da helfen? Ich kann ja nicht einmal mir selbst helfen.«
    »Sie können sich und mir helfen, wenn Sie etwas zu diesem Band sagen.«
    Und erbarmungslos spielte Lynley die Aufnahme von neuem ab, nahm es sich übel, daß er es tat, obwohl er wußte, daß es getan werden mußte. Als es zum zweiten Mal abgelaufen war, rührte sie sich immer noch nicht. Er spulte zurück und spielte es noch einmal ab. Und dann noch einmal.
    Joys Stimme war wie eine vierte Person im Raum. Sie schmeichelte. Sie lachte. Sie quälte. Sie flehte. Und sie brach schließlich den Widerstand ihrer Schwester mit den Worten: »Mama unbedingt an Sally erinnern, sonst vergißt sie's wieder.«
    Irene packte den Recorder, schaltete ihn mit zitternden Händen aus und warf ihn wieder aufs Bett, als fühle sie sich durch die Berührung beschmutzt.
    »Meine Mutter dachte nur an den Geburtstag meiner Tochter, wenn Joy sie daran erinnerte«, rief sie erregt. Ihr Gesicht verriet ihren Schmerz, aber ihre Augen blieben trocken. »Und trotzdem habe ich sie gehaßt. Ich habe meine Schwester gehaßt und wünschte ihren Tod. Aber doch nicht so! Mein Gott, nicht so. O Gott, Sie wissen ja nicht, wie es ist, wenn man sich den Tod eines Menschen wünscht und dieser Mensch dann wirklich umkommt! Es ist, als hätte eine boshafte Gottheit auf unsere Wünsche gelauscht.«
    Die Macht der Worte. Er wußte, wie es war. Er brauchte sich nur an den Tod des Liebhabers seiner eigenen Mutter zu erinnern.
    »Teile von dem, was sie auf das Band sprach, scheinen Gedanken zu einer neuen Arbeit gewesen zu sein. Kennen Sie die Gegend, die sie beschreibt? Das verrottende Gemüse, das Quaken der Frösche und das Keuchen der Pumpen, das flache Land?«
    »Nein.«
    »Sagt Ihnen der Schneesturm etwas?«
    »Nein!«
    »Und der Mann, den sie erwähnt. John Darrow?«
    Irene wandte sich mit einer heftigen Bewegung ab. Ihr dunkles Haar flog.
    Lynley hakte sofort ein. »Der Name sagt Ihnen etwas.«
    »Von gestern abend. Beim Essen sprach Joy von ihm. Sie erzählte davon, wie sie einen langweiligen Mann namens John Darrow freigehalten hätte.«
    »Ein neuer Verehrer?«
    »Nein. Nein, das glaube ich nicht. Irgend jemand am Tisch - ich glaube, es war Lady Stinhurst - hatte nach ihrem neuen Buch gefragt. Und da kam die Rede auf John Darrow. Joy lachte, wie sie das häufig tat, ein bißchen wegwerfend, wenn sie ihre Schwierigkeiten beim Schreiben ins Lächerliche zog, und bemerkte etwas darüber, daß sie versuche, an gewisse Informationen heranzukommen, die ihr noch fehlten. Und in diesem Zusammenhang erwähnte sie John Darrow. Darum denke ich, daß er irgendwie mit dem Buch zu tun hat.«
    »Buch? Sie meinen, sie schrieb an einem neuen Stück?«
    »Nein, nein, da haben Sie mich mißverstanden, Inspector. Abgesehen von einem Stück vor sechs Jahren und diesem neuen für Lord Stinhurst hat Joy nie Theaterstücke geschrieben. Sie schrieb Bücher. Früher hat sie als Journalistin gearbeitet, bis sie anfing, Dokumentationen zu schreiben. Immer über Verbrechen. Meistens Mordfälle. Wußten Sie das nicht?«
    Meistens Mordfälle. Verbrechen. Natürlich. Lynley starrte den kleinen Recorder an und konnte kaum glauben,

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