02 - komplett
Powell seine Schwierigkeiten nicht selbst lösen kann?“
„Etwas ganz Ähnliches sagte er zu mir, als ich sagte, dass ich mitkomme.“ Das Lächeln schwand aus Gavins Gesicht. „Er ist bereits abgefahren. Bitte glaube mir, dass ich nicht reisen würde, wenn es sich nicht um eine ernste Angelegenheit handelte.“
„Jetzt macht du mich unruhig, Gavin.“ Sarah packte ihn am Ärmel. „Ist etwas Schreckliches passiert?“
Seufzend führte er seine Gattin in die Bibliothek und schloss die Tür fest hinter ihnen. Nichts war ihm unangenehmer, als Sarah erzählen zu müssen, wie die Sache stand: dass Claytons Geliebte hinter seinem Rücken für böses Blut gesorgt hatte.
Wenn es ihm und Clayton nicht gelang, Pomfrey zur Vernunft zu bringen, würde es Mord und Totschlag geben. Denn Clayton wäre nach dem Ehrenkodex verpflichtet, sich mit Pomfrey zu duellieren, und er selbst stand bereit, ihm zu sekundieren.
Offenbar hatte Loretta es meisterhaft verstanden, ihren Verehrer so aufzustacheln, dass er in selbstmörderischem Leichtsinn handelte. Das knappe Schreiben, das Clayton zum Zweikampf forderte, klang hasserfüllt.
Wenn alle Bemühungen, den Streit beizulegen, erfolglos blieben, würden sich die Gegner womöglich binnen kurzer Zeit im Gerichtssaal wiederfinden – immer angenommen, sie überlebten beide. Eigentlich hegte Gavin in dieser Beziehung keine großen Befürchtungen: Falls Pomfrey Pistolen wählte, würde er sicher sein Ziel verfehlen, sodass Clayton in die Luft feuern konnte. Kämpften die Duellanten mit dem Degen, so würde es Clayton gelingen, seinen Gegner innerhalb weniger Minuten zu entwaffnen. Trotzdem: Das Schicksal war unberechenbar, und Unfälle passierten immer wieder. Mitunter erwiesen sich schon bloße Kratzer oder Streifschüsse als tödlich, wenn sich die Wunde entzündete. Jeder wusste irgendwelche Geschichten von netten jungen Männern zu erzählen, die aufgrund einer Nichtigkeit ihr Leben im Duell verloren hatten.
Ein ungeduldiger Laut von Sarah unterbrach Gavins düstere Gedanken. Als er ihren flehenden Blick sah, war die Entscheidung gefallen: Clayton mochte sein bester Freund sein, aber Sarah war seine Frau. Zwischen Eheleuten sollte es keine Geheimnisse geben. Also erzählte er die ganze Geschichte.
„Dieses Flittchen!“, schäumte Sarah. „Wie dumm ihr Männer doch manchmal seid!
Dieses Weib ist es nicht wert, dass man ihretwegen auch nur einen Kratzer riskiert.
Du musst sofort abreisen, bevor Clayton erschossen oder erstochen wird.“
„Das ist unwahrscheinlich, meine Liebe, es sei denn, Pomfrey lässt sich durch einen gedungenen Mörder vertreten.“ Mit seiner scherzhaften Bemerkung versuchte Gavin seine Frau zu beruhigen, denn sie wirkte den Tränen nah. „Dieser verdammte Narr Pomfrey weiß noch nicht einmal, wie man eine Pistole oder einen Degen hält – ganz zu schweigen davon, wie man beides als Waffe einsetzt. Clayton dagegen beherrscht Schießen und Fechten wie kein Zweiter.“ Er hielt es nicht für nötig, ihr zu erzählen, dass Clayton es während seiner Armeelaufbahn in allen Waffengattungen zum Meister gebracht hatte.
„Du musst packen“, beharrte Sarah und eilte zur Tür.
„Würdest du in ein paar Tagen nachkommen?“ Gavin hielt sie am Arm fest, um sie sanft an sich zu ziehen. „Auf diese Weise gewinnen wir der schlimmen Lage wenigstens noch eine positive Seite ab. Während der Saison haben wir uns ja kaum in London aufgehalten. James geht es doch besser, oder? Sicher würde er die Reise gut überstehen.“
Sarah nickte, aber ihre Stirn blieb gerunzelt. „Eigentlich wollte ich viel Zeit mit Ruth verbringen. Wir haben uns so lange nicht gesehen.“
„Warum fragst du sie nicht, ob sie mitkommen möchte?“, schlug Gavin vor.
„Bestimmt täte ihr ein Ortswechsel auch gut. Außerdem könnte sie sich dadurch eine Weile von Dr. Bryant fernhalten. Der arme Kerl sieht sie ja an wie ein liebeskrankes Kalb, und ihr scheint das peinlich zu sein.“
„Sie hat den Gedanken noch nicht vollständig aufgegeben, ihn vielleicht doch zu heiraten“, erklärte Sarah. „Aber sie braucht Zeit, um das Für und Wider abzuwägen.
Sich für eine Ehe zu entscheiden, in der Liebe keine Rolle spielt, ist nicht so einfach.“
„Sagt man nicht, dass die Liebe mit der Entfernung wächst? Wenn Dr. Bryant der Richtige ist, dann wird Ruth es bei ihrer Rückkehr wissen.“ Gavin hielt seiner Frau die Tür auf, und Arm in Arm gingen sie hinaus.
„Wenn du nicht mitkommst,
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