02 - komplett
er, wie Ruth sich vor Erregung anspannte und den Kopf zur Seite neigte, um ihm besseren Zugang zu ihrer Halsbeuge zu bieten. Doch er hielt einen Moment inne, um ihren selbstvergessenen Gesichtsausdruck zu betrachten. Sie hatte den Kopf ein wenig zurückgeworfen, die Augen geschlossen und den Mund leicht geöffnet. Ihre Lippen, die noch von seinem hungrigen Kuss gerötet waren, schienen nach mehr zu verlangen.
In ihm war überwältigendes Begehren erwacht. Der Wunsch, diesen wunderbaren Körper, den er unter seinen Händen spürte, nackt vor sich zu sehen, wurde beinahe übermächtig. Und trotzdem schien eine kleine Stimme ihn davor zu warnen, dem Verlangen nachzugeben.
Sein Plan, Ruth mit Höflichkeit zu verführen, hatte besser funktioniert als erwartet.
Aber statt zu frohlocken, empfand Clayton plötzlich Scham. Es war ihm gelungen, ihnen beiden zu beweisen, dass Ruth ihn so sehr begehrte wie er sie. Er wusste, dass er sich nun nehmen konnte, wonach ihn verlangte. Die Frage, ob sie seine Mätresse werden wollte, wäre damit ein für alle Mal geklärt, und es bliebe nur noch, die finanzielle Seite des Arrangements zu besprechen.
Seine Verführungskünste hatten ihn auch hier auf dem Land nicht im Stich gelassen, das war nun bewiesen. Aber seltsamerweise bestätigte ihm das nicht, dass Ruth wie alle Frauen im Grunde ihres Herzens eine Kurtisane war. Sie war eine wunderbare Frau – er selbst fühlte sich auf einmal selbstsüchtig und berechnend.
Seine Prahlerei, im Zorn ausgesprochen, er könne Ruth genauso herumkriegen wie jede andere, schmeckte auf einmal schal. Ja, er könnte Ruth auf der Stelle verführen, wenn er es wollte – und die überwältigende Lust, die er empfand, drängte ihn dazu.
Aber damit wäre sein Zynismus noch lange nicht gerechtfertigt.
Ruth war das genaue Gegenteil von Loretta und ihresgleichen, und deshalb hatte sie weit Besseres verdient, als er ihr geben konnte. Sie verdiente das, was Dr. Bryant ihr zu bieten gewillt war: ein Leben als angesehenes Mitglied der Gesellschaft, umgeben und unterstützt von Verwandten und Freunden. In ihren achtundzwanzig Lebensjahren hatte sie bereits etliche ihrer Lieben verloren, nicht zuletzt ihr Kind. Sie hatte bitteres Leid erfahren, und trotzdem schien sie nicht im Selbstmitleid zu versinken. Eben noch hatte sie ihm gezeigt, dass sie sich mehr darum sorgte, ein kleines Kind in einem liebenden Elternhaus aufwachsen zu sehen, als um ihr eigenes Wohlergehen.
Ruth Hayden verkörperte das Ideal einer liebenden Frau ... und Ehefrau. Sie verdiente genau das glückliche Familienleben, das er Gavin so spöttisch vorgehalten hatte.
Wie durch einen Schleier sinnlicher Benommenheit hindurch ahnte Ruth, dass Clayton sich innerlich von ihr entfernte. Gleichzeitig spürte sie sein unvermindertes Begehren. Es hatte sie dazu veranlasst, Stolz und Gewissen beiseitezuschieben und sich ganz den wundervollen Gefühlen hinzugeben, die er in ihr weckte. Doch als Augenblick um Augenblick verging, ohne dass Clayton seine leidenschaftliche Verheißung einlöste, hob Ruth widerstrebend die Lider und begegnete seinem Blick.
Clayton sah, wie der sinnliche Funke in Ruths Augen erlosch und einer verwirrten Frage Platz machte. „Ich gehe besser“, stieß er rau hervor. Gleichzeitig kam er sich vor wie der größte Narr auf Erden. Sagte man nicht Frauen nach, dass sie Männer mit ihren Reizen lockten, nur um sie im letzten Moment von sich zu stoßen? Nun hatte er sich nicht viel besser benommen. Sanft zog er Ruths Kleid wieder hoch und fing an, die Knöpfe zu schließen. Er kam nur bis zum ersten.
Abrupt riss Ruth sich von ihm los, drehte sich um und brachte mit fliegenden Fingern ihre Kleidung in Ordnung. „Dann sehe ich davon ab, den Portwein zu holen, Sir, wenn Sie ohnehin gehen“, brachte sie heraus. Eiseskälte lag in ihrer Stimme. „Sicher finden Sie den Weg hinaus selbst, schließlich sind Sie auch alleine hereingekommen.“
„Ruth ... hör mir zu ...“ Schuldbewusst trat Clayton auf sie zu, doch ihr erhobenes Kinn und der gestraffte Rücken sprachen eine deutliche Sprache. „Hättest du wirklich gewollt, dass ich weitermache?“
Ruth fuhr herum, um gleich darauf einen Schritt fort zu machen. „Sie hatten recht, als Sie eben sagten, dass Sie gehen sollten. Und noch mit etwas anderem hatten Sie recht: Ich erwarte tatsächlich einen Besuch von Dr. Bryant. Es ist besser, wenn er Sie nicht hier antrifft. Auf Wiedersehen.“
Unwillkürlich lachte Clayton auf,
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