02 - komplett
aber es klang harsch. „Wir sind miteinander noch nicht am Ende, Ruth.“
Die sinnliche Verheißung, die in diesen Worten lag, ließ einen Schauer durch ihren Körper laufen. Unsicher befeuchtete sie die Lippen. „Darin kann ich Ihnen nur widersprechen, Sir. Meine Nachbarn beobachten sehr genau, wer in diesem Dorf kommt und geht. Der Besuch eines Fremden bei mir dürfte ihnen nicht verborgen geblieben sein. Als alleinlebende Frau muss ich alles daransetzen, nicht zur Zielscheibe böswilligen Klatsches zu werden. Daher kann ich Sie nur bitten, nicht wiederzukommen.“
Angesichts seines Gesichtsausdrucks wandte Ruth erst den Blick, dann den ganzen Körper ab. Im nächsten Augenblick drehte Clayton sich um. An der Tür blieb er noch einmal stehen und sagte: „Ich wünsche Ihnen nächste Woche einen schönen Geburtstag.“
Überrascht von dem Glückwunsch, fuhr sie herum, aber Clayton war schon gegangen.
Als sie hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, schien jegliche Kraft ihren Körper zu verlassen. An der Wand Halt suchend, ging sie zitternd zu ihrem bequemen alten Sessel, während die ersten Schluchzer in ihr hochstiegen.
Was war sie nur für eine Närrin gewesen! Noch vor wenigen Tagen hatte Sir Clayton Powell in all seiner arroganten Unverschämtheit behauptet, sie sei an ihm interessiert. Sie hatte sich daraufhin geschworen, niemals seinen wohlerprobten Verführungskünsten zum Opfer zu fallen – in dem Wissen, dass sie ihn gerade dadurch herausforderte. Tief in ihrem Innern hatte sie geahnt, dass er nicht nach London zurückkehren würde, ohne zumindest den Versuch zu unternehmen, seinen männlichen Stolz zu befriedigen. Nun durfte er sich eines leichten Sieges rühmen, denn sie hatte seinem geübten Charme keinen Widerstand entgegengesetzt.
Kaltblütig und berechnend hatte er ihr gerade vor Augen geführt, wie schwach sie war. Dabei hatte sie ihm sogar noch erklärt, sie wolle möglicherweise Ian Bryants Antrag annehmen. Die Aussicht, mit einem anderen Mann vor den Altar zu treten, hatte sie nicht daran gehindert, ihrer Lüsternheit auf schamlose Art und Weise nachzugeben. Verzweifelt presste Ruth ihre Handflächen gegen die Wangen, die vor Scham brannten.
Der gestrige Abend auf Willowdene Manor hatte deutlich gezeigt, wie wenig Clayton den Arzt ausstehen konnte. Im Gegenzug hatte Ian Bryant offen ausgesprochen, dass er Sir Clayton Powell für einen adligen Nichtsnutz hielt. War es diese Feindseligkeit gewesen, die Sir Claytons Kampfgeist geweckt hatte? Suchte er Befriedigung in dem Wissen, dass er sich nehmen konnte, was der Arzt begehrte?
Seine Antwort hatte er jedenfalls bekommen. Während dieser wenigen Minuten, in denen sie sich wie eine Ertrinkende an ihn geklammert und unter seinen kundigen Liebkosungen gebebt hatte, war sie sich so lebendig und attraktiv vorgekommen wie seit Jahren nicht mehr.
Was aber hatte er dabei empfunden? Verlangen nach ihrem Körper? Zweifellos.
Langeweile, weil er sie so mühelos erobert hatte? Der Gedanke durchfuhr sie wie ein Dolchstoß. Die Hände noch immer an ihre glühenden Wangen gepresst, flüsterte sie:
„Dieser Widerling!“, um die Worte gleich darauf laut hinauszuschreien.
An der Tür ertönte lautes Klopfen. Ruth sprang auf und eilte zum Eingang. Nach Kräften unterdrückte sie die schüchtern aufkeimende Hoffnung, er möge zurückgekommen sein.
„Ist etwas nicht in Ordnung, Mrs. Hayden?“, erkundigte sich Mrs. Brewer teilnahmsvoll, während Mrs. Stern an Ruth vorbei in das Innere des Cottages zu spähen versuchte.
„Doch, mir geht es bestens. Danke.“ Trotz der Enttäuschung, die beiden Nachbarinnen vor sich zu sehen, bemühte sich Ruth, ihre Stimme gleichmütig klingen zu lassen.
Mrs. Brewer lächelte, offenbar wenig überzeugt. „Oh. Es ist nur so, dass wir gehört haben, wie Sie laut geworden sind. Und da Cissie ja schon nach Hause gegangen ist, wollten wir lieber nach Ihnen sehen, falls Sie einen Besucher haben, der Sie so aufregt. Sind Sie sicher, dass Sie keinen Beistand brauchen?“
„Ja, ich bin mir sicher. Trotzdem vielen Dank. Auf Wiedersehen.“ Rasch schloss Ruth die Tür, lehnte sich gegen die Wand und biss sich auf die Lippe, um nicht laut herauszulachen. Sicher hatten die beiden würdigen Damen nur auf eine Gelegenheit gewartet, sie über ihren eleganten Besucher auszufragen. In einem Dorf wie Fernlea tat ein Mann wie Sir Clayton Powell, der Reichtum und Macht ausstrahlte, keinen Schritt unbemerkt.
Sofort stand ihr
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