02 - komplett
Bernard Graves sich wirklich geschadet. Weiß er denn nicht, dass er für den Rest der Saison vermutlich auf der schwarzen Liste jeder einzelnen Gastgeberin gelandet ist? Niemand wird ihn mehr einladen.“
„Kein Wunder. Mir tut es nur für Susannah leid, die heute Abend mit diesem ... Biest zurechtkommen muss. Ich jedenfalls wollte Loretta Vane nicht unter meinem Dach haben.“
Ruth und Sarah wechselten vielsagende Blicke, als sie die Unterhaltung zwischen der Countess of Morganston und ihrer Schwester Joanna Peebles mitbekamen.
In dem kleinen Salon, in dem die Damen sich frisch machen konnten, fiel warmer Kerzenschein auf Sofas und blumengeschmückte Tischchen. Als die Countess Ruth und Sarah bemerkte, winkte sie die beiden zu sich herüber, um vertraulich zu flüstern: „Wir haben gerade über Bernard Graves gesprochen. Ob der alte Dummkopf es wohl noch bereuen wird, dass er sich von Loretta Vane um den Finger hat wickeln lassen?“
Sarahs Miene zeigte deutlich, dass sie genau das dachte. Aber sie enthielt sich jeder Bemerkung. Stattdessen nahm sie neben Ruth auf einem der Sofas Platz. Vor dem Spiegel begann sie, ihre Frisur zu ordnen.
„Was sagen Sie dazu, Mrs. Hayden?“ Die Countess ließ nicht locker. „Sie sind ja ebenfalls mit Sir Clayton befreundet, wie ich hörte. Wussten Sie, welche Anstrengungen Lady Vane unternimmt, um ihn doch noch vor den Altar zu zerren?“
Ruth, die gerade eine ihrer Locken neu feststeckte, begegnete dem Blick der Countess im Spiegel. Eigentlich hatte sie nicht vor, in den Klatsch und Tratsch über Claytons Mätresse einzustimmen, und sie vermutete, dass Sarah sich aus dem gleichen Grund zurückhielt. Clayton war schließlich Gavins engster Freund. Selbst wenn Loretta Vane es verdiente, dass man hinter ihrem Rücken schlecht über sie redete – jedes böse Wort fiel auch auf Clayton zurück.
Sarah, die Ruths Zögern bemerkte, mischte sich ein. „Erlauben Sie mir, an Mrs.
Haydens Stelle zu antworten. Mein Mann und ich geben nächsten Monat eine kleine Gesellschaft, lediglich Dinner und Karten. Wir werden Lord Graves zwar dazu einladen, aber eindeutig erklären, dass er Zutritt nur in Begleitung von Maude erhält.“
Die Countess und ihre Schwester lachten. Maude war die jüngere Schwester von Lord Graves, unverheiratet, streng und puritanisch von Kopf bis Fuß. Niemals würde sie an einer frivolen Gesellschaft teilnehmen, so viel war sicher.
„Wie tugendhaft von Ihnen, Miss Marchant ... oh, Verzeihung, beinahe hätte ich es vergessen: Sie sind ja inzwischen mit Sir Claytons Freund verheiratet. Wie geschickt Sie es angestellt haben, dass Viscount Tremayne eine ehrliche Frau aus Ihnen gemacht hat! Ich bin beeindruckt, denn ich verfolge ein ganz ähnliches Ziel, wie Sie vielleicht wissen.“
Einen Augenblick lang saßen die vier Damen erstarrt da, bevor sie in der Lage waren, sich umzudrehen. Am Eingang des Raumes stand Loretta Vane, aufreizend gegen den Türrahmen gelehnt, eine Hand in die schlanke Taille gestemmt.
Aus kalten blauen Augen musterte sie die vier. Befriedigung blitzte in ihrem Blick auf, als sie bemerkte, dass Sarah auf ihre bösartige Bemerkung hin bleich geworden war.
Lady Vane warf die dunklen Locken zurück und stolzierte in den Salon. „Sie und ich, wir haben vieles gemeinsam, Lady Tremayne. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht als sechzehnjähriges Mädchen schon die Geliebte eines Mannes wurde. Ich besaß immer den Schutz und das Ansehen, das mir der Name meines Mannes bieten konnte. Aber seien Sie beruhigt: Ich werde Ihnen deshalb nicht die kalte Schulter zeigen.“
Heiser lachend sah sie zu, wie Sarah aufsprang, nur um sofort wieder auf das Sofa zurückzusinken, als wollten ihre Beine sie nicht tragen. „Wir werden viel Spaß haben, wenn ich erst Sir Claytons rechtmäßige Gattin bin. Dann müssen wir uns häufig zum Tee treffen, denn unsere Ehemänner freuen sich sicher, wenn wir gut miteinander auskommen.“
Auch Ruth war blass geworden, während sie sich diesen ungeheuerlichen Angriff auf ihre Freundin anhörte. Zorn durchströmte sie. Lady Vane sah nicht so aus, als wollte sie aufhören, Unheil zu stiften. Im Gegenteil: Sie erinnerte an eine Katze, die sich gerade erst die Krallen schärfte, um sie dann tief in ihr Opfer zu schlagen. Sarah dagegen war den Tränen bereits nahe.
Ruhig stand Ruth auf. „Ich glaube, Sie täuschen sich, Lady Vane.“ Ihre Stimme klang fest, aber Eiseskälte lag darin. „Sie entschuldigen sich
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