02 - komplett
gut aus“, bemerkte sie, um gleich darauf den Blick abzuwenden. Clayton sollte nicht sehen, wie sehr sie ihn begehrte.
„Das Gleiche gilt für dich“, gab Clayton leise zurück und sah, wie sie sich verlegen über ihr einfaches Morgenkleid strich.
„Entschuldige meinen Aufzug“, murmelte Ruth. „Ich hatte dich nicht so früh erwartet.“
„Aha – aber erwartet hast du mich demnach.“
Ruth errötete. Kurzes Schweigen trat ein, bis sie schließlich antwortete: „Ich habe einfach angenommen, dass du früher oder später die ungeklärte Angelegenheit unserer Verlobung besprechen wolltest.“ Nun musterte sie ihn offener als bei ihrem Eintreten. „Ist die Wunde schon verheilt?“
Clayton presste die Hand gegen seine rechte Seite und verzog leicht das Gesicht. „Es geht.“
„Es geht?“ Ruth klang entsetzt. „Du bist den ganzen Weg hierher gereist, während deine Schussverletzung dir Schmerzen bereitet?“
Ernst hielt er ihrem Blick stand. „Ich wollte dich sehen. Länger hätte ich nicht mehr warten können.“
„Du wolltest wissen, ob ich immer noch zu dem stehe, was ich gesagt habe ...
bezüglich der langen Verlobungszeit. Ja, ich stehe noch dazu. Wenn es das ist, was du möchtest, dann bin ich bereit ...“
„Nein, es ist nicht das, was ich möchte“, unterbrach Clayton. Seine Worte klangen barscher, als er beabsichtigt hatte.
Augenblicklich schien sich ihr Herz vor Schmerz zusammenkrampfen zu wollen.
Clayton wies sie zurück. Er war nur gekommen, um alle Bande zwischen ihnen zu zerschneiden, und zwar so schnell und höflich wie möglich. „Ich verstehe.“
„Das glaube ich nicht, Ruth.“ Clayton trat einen Schritt näher, hob den Arm, als wollte er nach ihrer Hand greifen – nur um ihn sogleich wieder sinken zu lassen und die Hände zu Fäusten zu ballen. „Kennst du nicht den Spruch ‚Sage mir, mit welchen Menschen du dich umgibst, und ich sage dir, wer du bist‘? Erklär mir, Ruth: Was würdest du von einem Mann denken, der Loretta Vane als Mätresse ausgehalten hat und dich für einen passenden Ersatz hält?“
Bei seinen Worten war Ruth erneut Hitze in die Wangen gestiegen. Ein Blick auf seine ernste Miene zeigte ihr deutlich, wie sie gemeint waren. Ganz offensichtlich wollte er von ihr nicht hören, ob sie Lorettas Vorzügen das Wasser reichen konnte.
Nein: Er macht sich Sorgen, dass seine Affäre mit Lady Vane ihn um meine gute Meinung gebracht hat, dachte Ruth.
„Möchtest du von mir Verzeihung erbitten?“, fragte sie leise.
„Ja, und noch viel mehr.“
„Hast du Loretta Vane unwiderruflich hinter dir gelassen?“
„Seit dem Tag, an dem ich im Schnee auf Willowdene Manor ankam, gehörte sie der Vergangenheit an.“ Als er Ruths skeptische Miene sah, fügte er hinzu: „Das verspreche ich dir feierlich.“
„Dann denke ich, dass die Vergangenheit deine eigene Angelegenheit ist“, gab sie schlicht zurück. „Außerdem halte ich dich für bewunderungswürdig ehrenhaft und tapfer. Du hast Dr. Bryant kein Haar gekrümmt, sondern ihn heil und unversehrt zu seinem kleinen Sohn heimgehen lassen, obwohl er die Regeln der Ehre missachtet hat. Bis vor Kurzem glaubte ich, dieser Feigling sei ein aufrechter Mann, ja, sogar ein Freund. Ich dachte sogar darüber nach, ihn zu heiraten, um versorgt zu sein. Was hältst du von einer Frau, die sich so leicht täuschen, so billig kaufen lässt?“
„Möchtest du von mir Verzeihung erbitten?“
„Ja ... und noch viel mehr“, wiederholte Ruth das, was er eben selbst gesagt hatte.
„Du musst nur sagen, was du dir wünschst. Es gehört dir.“
Sie senkte die Lider. Die entscheidenden Worte lagen ihr auf der Zunge, aber ihr Stolz verbot ihr, sie zu äußern. Um nichts in der Welt würde sie ihm zuerst ihre Liebe gestehen, und um nichts in der Welt würde sie ihn um das lange Verlöbnis bitten, das er angeboten hatte. „Es tut mir leid“, wich sie aus. „Ich habe dir nach der anstrengenden Reise noch nicht einmal Erfrischungen angeboten.“
Damit trat sie zu der Anrichte, ergriff die Portweinkaraffe und schenkte ihm ein.
„Ich dachte, Dr. Bryant hätte Degen gewählt. Wie kommt es, dass du angeschossen wurdest?“, erkundigte sie sich, während sie das Glas auf einem Tischchen neben ihm abstellte.
„Der Boden war am Morgen des Duells gefroren. Beim Fechten kann jedes Ausrutschen zu bösen Unfällen führen. Deshalb hat Bryant seine Wahl noch einmal geändert.“
„Und das hast du zugelassen?“
„Für mich machte
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