02 - komplett
zwangloser Kleidung gesehen. Er trug helle Pantalons, ein weißes Hemd aus feinem Leinen, das am Hals offen stand, aber weder Weste noch Rock. Als er vor ihr stand, nahm er ihr die Waffe aus der Hand. In seinem Blick lag so viel Verlangen, dass Ruth sich am liebsten an seine Brust geschmiegt hätte, um ihm zu erlauben, all ihre Sorgen und Ängste mit einem Kuss auszulöschen.
Beschämt darüber, dass sie in einer solchen Lage an Küsse auch nur denken konnte, wiederholte sie: „Hast du vor, die Pistolen morgen zu benutzen?“
„Er hat Degen gewählt“, sagte Clayton und legte die Waffe in ihr Kästchen zurück.
Plötzlich musste Ruth blinzeln, um die Tränen zurückzuhalten. „Aber warum?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er wahrheitsgemäß. „Vermutlich kennt er als Arzt den Schaden, den eine tief sitzende Kugel anrichten kann.“
„Und eine Stichwunde ist harmlos?“, brachte Ruth verzweifelt hervor. „Das ist doch Wahnsinn. Du wusstest, dass ich herkommen und dich bitten würde, das Duell abzusagen. Dein Butler hat es mir mitgeteilt.“
„Oh, hat er das? Mitunter redet er zu viel.“
„Bitte sag mir, dass du nicht kämpfen willst. Ich weiß, dass ich viel verlange, denn euch Männern bedeutet Ehre mehr als alles andere. Aber du siehst doch selbst, wie unehrenhaft die ganze Sache ist, oder?“
Als er schwieg, legte sie ihm eine Hand auf die Wange und drehte seinen Kopf, sodass er sie ansehen musste. Genauso schnell ließ sie die Hand allerdings wieder sinken, als hätte ihre eigene Kühnheit sie erschreckt. „Kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren, wenn du morgen einen mutterlosen kleinen Jungen zum Vollwaisen machst? Joseph Bryant ist kaum ein Jahr alt ...“
„Ich werde Bryant nicht töten, das verspreche ich dir.“
„Trotzdem willst du dieses Duell kämpfen.“
„Ich muss es tun.“
„Warum? Wer zwingt dich dazu?“, brach es aus Ruth heraus.
„Bryant selbst. Er hat dich beleidigt.“
„Vergiss es. Ich habe es ebenfalls vergessen.“
„Das kann ich nicht.“ Clayton klang immer noch ruhig, aber unnachgiebig. „Damals habe ich ein Duell für eine untreue Ehefrau gefochten. Beinahe hätte ich eines für eine intrigante Mätresse gefochten. So wahr mir der Himmel helfe, werde ich ein Duell für dich fechten, sonst bin ich nichts als der größte Narr auf Erden.“
„Ich erwarte weder noch wünsche ich, dass du für mich kämpfst“, erwiderte Ruth.
„Ich weiß, meine Liebste. Und dennoch muss ich es tun.“
Sein Tonfall machte ihr deutlich, dass er sich nicht von seiner Entscheidung abbringen lassen würde. Als er Dr. Bryant zum Duell gefordert hatte, mochte er aus einer Augenblickseingebung heraus gehandelt haben. Aber Clayton würde nicht von dem Kampf zurücktreten.
„Wenn du mir etwas beweisen möchtest, wenn du mir etwas zu Gefallen tun möchtest ... dann bitte, sage das Duell ab“, versuchte sie es noch einmal. Sie kam näher. „Ich möchte mich auf die Zukunft freuen können, die du mir versprochen hast.“ Langsam hob sie die Hände und legte sie ihm auf die Schultern, sodass sie seine harten Muskeln unter dem feinen Leinengewebe spüren konnte. Den Kopf legte sie in den Nacken, bot ihm ihre Lippen auf verführerische Art und Weise dar, während ihre Lider sich wie von selbst senkten. Durch die Wimpern hindurch sah sie, dass ein Funke der Leidenschaft in Claytons Augen aufglimmte. „Ich weiß, dass du ein guter Fechter bist, aber ... vor schrecklichen Unfällen ist niemand gefeit. Was ist, wenn ich dich verliere?“
Sie verlieh ihrer Warnung Nachdruck, indem sie ihm den Arm streichelte. Schließlich gab sie jeden Rest Stolz auf und fragte: „Wie sollen wir dann die Gemeinsamkeiten entdecken, von denen du gesprochen hast, oder die lange Verlobungszeit genießen?“
Clayton lächelte, aber es lag Schuldbewusstsein darin. Dann neigte er den Kopf und berührte ihre Lippen federleicht mit den seinen. „Fahr nach Hause, Ruth“, sagte er rau. „Ich verspreche dir, dass der kleine Joseph seinen verflixten Papa heil und gesund wiederbekommt.“
Frost glitzerte auf dem Gras, als die Chaise anhielt und zwei Männer hinaussprangen.
Nachdem sie den Schlag wieder zugeworfen hatten, lenkte der Kutscher das Gespann einige Schritte weiter und blieb unter ein paar Bäumen stehen, die den Beech Common umstanden. Sofort prüfte Gavin mit einer Stiefelspitze den weißen Untergrund. „Verdammt glatt“, bemerkte er und warf Clayton einen düsteren Blick zu.
Dieser
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