02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
Sie war entweder außerhalb seiner Reichweite oder stand unter Medikamenteneinfluss. Er hielt die erste Möglichkeit für wahrscheinlicher, und da ihr Laptop auch nicht auf dem Couchtisch stand, war sie mit dem Gerät wahrscheinlich drüben im Haupthaus und beobachtete Vater.
Ob er wohl schon gebettelt hat? Athena seine Liebe und ein paar Wunder versprochen hat?
Was er wohl mir versprechen wird?
Alex holte seine zur Zeit nutzlose S & W hinten aus seiner Jeans, zog Heathers Colt aus der Tasche seines Pullis und ging in sein Zimmer.
Er rümpfte die Nase. Das Cottage roch feucht und abgestanden, doch je weiter er in den dunklen Flur trat, desto stärker nahm er auch einen schwachen, aber klar vorhandenen Gestank war.
Er schaltete das Licht im Gang ein und runzelte die Stirn, als er die Klumpen auf dem Teppichboden sah. Sie wirkten wie getrocknete Erde oder Schmutz. Alex folgte der seltsamen Spur bis zum Zimmer Athenas, wo er die Tür aufstieß.
Etwas lag auf Athenas Bett, etwas Schmutziges in einem Nachthemd mit dürren Armen, zusammengekrallten Fingern und ohne Kopf. Der Oberkörper dieses Etwas endete oben in einem grob abgeschnittenen Halsstumpf. Alex brauchte mehrere rasende Herzschläge lang, bis er begriff, dass es seine Mutter war. Oder vielmehr das, was von ihr übrig war.
Er lehnte sich gegen den Türrahmen, so schwach wurde ihm vor Erleichterung.
Sie hat mir versprochen, Mutter nicht zu töten, hat es dann aber trotzdem gemacht. Kein Wunder, dass sie nicht antwortet.
Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Leichte Unruhe erfasste ihn. Die Tatsache, dass Athena ihre Mutter getötet hatte, störte ihn nicht weiter. Nicht wirklich. Was ihn jedoch überraschte, war der Zustand des Körpers und wo er sich befand – in Athenas Schlafzimmer, nicht in ihrem Labor.
Wo war Mutters Kopf?
Er ließ die Hände wieder sinken, ließ das Etwas auf dem Bett zurück und überquerte den Gang zu seinem Zimmer. Dort öffnete er den Waffentresor, der sich in einer Kommode befand, und holte ein neues Magazin für seine S & W heraus.
Dann legte er den Revolver in den Tresor und verschloss ihn wieder. Er schob das Magazin in den Lauf und steckte die Pistole erneut hinten in seine Jeans.
Zeit, die Schläfer abzuladen und Vater einen kleinen Besuch abzustatten.
Alex stellte Annies Sporttasche mit der in Unterwäsche gewickelten Absinth-Flasche auf den Boden neben der Eingangstür des Haupthauses. Dante lag ausgestreckt auf dem Sofa, die blutverschmierten Hände auf den Rücken gefesselt. Der Vampir war noch bewusstlos, aber wenigstens blutete er jetzt nicht mehr aus der Nase oder der Schussverletzung in der Brust.
Alex schritt durch das Zimmer auf den Gang. Dort warf er zunächst einen Blick ins Gästezimmer. Annie schlief auf ihrer linken Seite zusammengerollt auf einer Steppdecke, Handgelenke und Füße noch immer mit Kabelbindern gefesselt. Er riss ihr das Panzerband vom Mund. Sie würde bald zu sich kommen, und hier draußen in der Pampa konnte sie so viel Lärm machen, wie sie wollte.
Er ging wieder in den Flur hinaus und ins dunkel daliegende Zimmer seiner Mutter, dem Flüstern seiner Schwester folgend. Unter der Tür blieb er stehen, und einen Moment lang verharrte sein Finger über dem Lichtschalter. Er schloss die Augen und genoss die warme, energiegeladene Präsenz seiner Zwillingsschwester — wie eine Katze die Sonne –, während er den Gestank aus geronnenem Blut und Verfall ignorierte, der ihm in die Nase stieg.
» Dreiineinsdreiineinsdreiineinsdreiineins …«
»Athena?«, flüsterte er und öffnete die Augen. Das Murmeln verstummte.
»Alexander kehrt als Triumphator zurück«, sagte sie stolz und lebhaft. »Sieh, vor dir steht der Gott der Unterwelt!«
Alex betätigte den Lichtschalter und erhellte das Zimmer.
Die Indian knatterte durch die Nacht, und das Geräusch ließ Vons Rückgrat vibrieren, als er sich gegen die Ausrüstung lehnte, die an Marley Wildes Motorrad geschnallt war. Seine Hand ruhte auf ihrer Hüfte. Der Wind wehte durch sein Haar und blies ihm eisigen Regen ins Gesicht, so dass seine Haut zu prickeln begann. Er wischte sich die Tropfen von der Schutzbrille. Marleys blonde Dreadlocks züngelten vor ihm wie das Schlangenhaupt der Medusa um ihren Kopf.
Ihr Partner, Glen Hundertachtzig, raste mit seiner kobaltblauen Kawasaki Versys einige Meter vor ihnen her. Das schwarze, aus Vogelschwingen gebildete V, das auf seine rechte Wange tätowiert war, wies auf seinen Clan hin –
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