Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
Vom Netzwerk:
einem Lidschlag, und sie fanden sich tief in dem grünen Wald wieder und schauten auf eine friedliche, beschützte Lichtung. Sonnenstrahlen durchdrangen das Blattwerk, ließen moosbedeckte Steine glühen und die Tauperlen auf den Blättern glitzern. Die Oberfläche eines kleinen Teiches reflektierte funkelnd das Licht, und wenn Insekten durch die Sonnenstrahlen flogen, verwandelten sie sich für einen Moment in geflügelte, glitzernde Juwelen.
    Im Mittelpunkt der Lichtung schmückten vier Pfeiler die Ecken eines erhöhten Sarkophages aus reinem, weißem Stein. Sein Deckel war mit einer Vielzahl von Tier- und Menschengestalten verziert, ebenso die Seiten, und auf jedem Ende des steinernen Monuments saßen gemeißelte Gestalten. Eine zeigte einen stämmigen, bärtigen Mann in schlichten Gewändern, der einem vor ihm knienden Bittsteller ein Buch, ein Schwert und ein kleines Schiff in die erhobenen Hände legte. Die andere Statue zeigte denselben Mann, wie er neben einer wunderschönen, aber sehr ernsten Frau in einem fließenden Gewand saß. Alael schaute ihre Führerin an, aber die wies nicht die geringste Ähnlichkeit mit der Statue auf.
    »Ist das …«, Alael zögerte einen Moment,«… das Grabmal des Vater-Baumes?«
    Die Frau schien von ihrer Frage überrascht zu sein. »Warum sollte es ein Grabmal sein?« Sie hielt ihr die Hand hin. »Gehen wir weiter.«
    Alael nahm ihre Hand. Erneut verschwamm ihre Umgebung und flimmerte an ihnen vorbei, bis Alael nach wenigen Schritten vor der klippenähnlichen Wand des großen Tales stand. Im Gras vor ihr lagen fünf offensichtlich frisch ausgehobene Gräber, denn neben jedem glänzte ein Haufen fetter, brauner Erde. Dahinter ragte eine flache, breite Felsplatte aus der Klippe hervor, in deren Oberfläche ebenfalls ein Grab gemeißelt worden war. An seinem Kopfende lehnte ein großer, viereckiger Steinquader an der Klippenwand, der vermutlich als Grabstein dienen sollte.
    Die Frau ließ Alaels Hand los, trat zu dem offenen Steingrab und schaute lange aufmerksam hinein. »Es gibt keine Worte zwischen den Lebenden und den Toten«, sagte sie wie zu sich selbst. Dann hob sie den Blick, und Alael sah, dass ihr Tränen über das vor Qual verzerrte Gesicht rannen. »Keine Worte«, sagte sie und ihre Stimme war erstickt von Gefühl. »Nichts …«
    Besorgt schaute Alael weg, und als sie ihren Blick wieder auf die Frau zu richten wagte, stand sie unmittelbar neben ihr und starrte sie an.
    »Sie sagt, dass du Bardow helfen musst«, erklärte die Frau.
    »Wer…? Die Erden-Mutter?«
    »Sie sagt, du wirst die Gabe erhalten. Verwende sie klug.«
    Bevor Alael antworten konnte, schob die Frau sie ruhig zurück. Alael verlor das Gleichgewicht, und noch im Fallen merkte sie, dass sie in eines der offenen Gräber stürzte. Sie schrie gellend, als die Dunkelheit sie umhüllte …
    … und wachte in ihrem dunklen Schlafgemach auf, als ihre Zofe Nuri mit einer Lampe in der Hand die Tür öffnete.
    »Hat Euch der Lärm geweckt, Mylady?«, fragte sie.
    »Welcher Lärm?«, erkundigte sich Alael. Dann hörte sie die gedämpften Schreie von draußen. Nuri zupfte ängstlich an ihrem Nachtgewand und schlüpfte ins Zimmer.
    »Oh, Mylady, einer der Wachposten hat es mir gesagt. Der Feind hat die Stadtmauern in Brand gesetzt.« Als die Nacht hereinbrach, brannten viele Teile von Scallow immer noch lichterloh. Am schlimmsten hatte es die dichtgedrängten Häuser und Geschäfte direkt an der Hauptmauer getroffen, während das Feuer den ohnehin schon halb zerstörten Brückenbezirk fast vollkommen vernichtete. Medwin beobachtete die brennenden Gebäude und die verzweifelten Bürger, die Ketten mit Wassereimern bildeten, vom Fenster einer kleinen Villa am Hang aus, von der aus man auch den Haupthafen sehen konnte, wo die Dunkelheit bereits die aus dem Wasser emporragenden Mastspitzen der gesunkenen Schiffe verbarg. Der jüngste Bericht meldete, dass die Reste der feindlichen Flotte aufs Meer hinaus flohen, während einige überlebende Matrosen und Schiffssoldaten Scallows das Westufer erreicht hatten und nach Nordwesten marschierten, um sich mit ihren Verbündeten in den Hügeln zu vereinen. Medwin wäre bereit gewesen, den Ausgang dieser Schlacht einen hart erkämpften Sieg zu nennen, hätte er mit Gewissheit sagen können, dass Gilly und Keren in Sicherheit und wohlauf waren. Er fühlte sich ausgelaugt und lehnte sich an den Fensterrahmen. Noch vor kurzem hatte er eine fruchtlose Suche mit dem Gedankengesang

Weitere Kostenlose Bücher