02 - Schatten-Götter
und wandte sofort den Blick ab, als der Karren um eine Ecke in eine dunkle, von Pfützen übersäte Gasse einbog. Der Priester hielt sich, so weit es möglich war, an kleine Nebenstraßen, während sie zum Fischereihafen fuhren. Verschiedene kleine Fischerboote mit Netzen lagen in zwei Buchten. Ihr Ziel war die südlicher gelegene, und der Geruch der Räuchereien und Brathöfe wurde stärker. Das Fischerviertel war ein dicht besiedelter Bezirk aus kleinen, eng aneinander gebauten Häusern und schmalen, schlecht gepflasterten Straßen. Aber über zahlreichen Türen brannten Lampen, und es waren viele Menschen unterwegs. Tauric wusste aus dem Studium der Stadtkarten, dass der einzige direkte Weg von der Fischergemeinde zu der Bucht mit ihren beiden Molen ein abschüssiger Wall war, den man in eine der Klippen gehauen hatte. Als der Karren also einen schweren Torsturz passierte und sich heftig nach unten neigte, wusste er, wo sie waren. Er drehte sich um und sah die abgründige Schwärze der Bucht, die dunkle Masse des Vorgebirges und das vollkommen finstere Meer dahinter. Als der Wagen den Wall hinunterrumpelte, flüsterte der Priester ihm zu:
»Unser Schiff erwartet uns am Pier, Majestät, aber dort befindet sich auch ein Verlademeister und zwei Hafenwachen. Ich muss vielleicht einen gewissen Mummenschanz aufführen, also verzeiht, wenn ich respektlos bin oder Euch zu beleidigen scheine.«
»Ich verstehe, Meister.«
Wie sich ergab, bestand keine Notwendigkeit für ein Theaterspiel. Der Verlademeister war ein pockennarbiger Mann, der fror und es mit der Inspektion eilig hatte. Er erteilte rasch seine Erlaubnis, damit er und seine Männer wieder in ihre warme Holzhütte auf den Rand der Klippe zurückkehren konnten. Der Priester behauptete, ein Kerzenzieher aus Nord-Cabringa zu sein, und gab die vier Weißen Gefährten als Lehrlinge aus, die nach Sejeend reisten, um ihre Ausbildung anzutreten. Die Pferde wären für ein Gestüt in Roharka bestimmt und die verpackten Waffen seien Antiquitäten und Kuriositäten, die sie für wohlhabende Klienten beschafften. Tauric stellte er als seinen Dienstjungen vor. Der Verlademeister warf einen flüchtigen Blick auf alles, zuckte mit den Schultern und unterschrieb dann das gefälschte Ladeverzeichnis des ehemaligen Waffenmeisters. Die Gefährten wurden in den Frachtraum geschafft und kümmerten sich mit einigen Matrosen um ihre Pferde, während Tauric zusah, wie der Priester dem Verlademeister die Hand schüttelte und dann mit seinem Stock die Laufplanke hinaufhumpelte. An Deck zog er Tauric zur Seite, während die Planke eingeholt wurde. »Es wäre klug, Eure Rolle beizubehalten, solange Ihr an Bord seid, Majestät«, sagte er, »bis wir weiter nördlich an Land gehen.«
»Ich stimme Euch zu, Meister. Vielleicht kann ich an Deck warten, nur eine kurze Zeit, um zuzusehen, wie wir ablegen.«
»Wie Ihr wünscht, Sire«, erwiderte der Himmelspferd-Priester amüsiert. »Ich muss mit dem Kapitän sprechen und kümmere mich später um Euch.«
Tauric nickte, aber seine Aufmerksamkeit wurde von den Seeleuten abgelenkt, welche die Leinen lösten und sich gegenseitig Bemerkungen zuriefen, während sie sich zum Ablegen fertig machten. Ihr Schiff war ein kleiner, zweimastiger Lastkahn mit hohem Bug und Heck, und es sollte Taurics erste echte Seereise werden. Er fühlte das sachte Schwanken des Bootes unter den Füßen, das in der Dünung rollte, hörte das leise Klatschen der Wellen und roch das salzige, dunkle Wasser. Die Rufe der Matrosen wurden lauter, und schließlich legten sie ab. Die Decklampen schwangen an ihren Haken, die Mastbäume knarrten und die Segel knatterten, als der Wind sie aufblähte und das Schiff von der Mole trug.
Der junge Kaiser holte tief Luft und seufzte, während er über den südlichen Teil des Hafens schaute, den Langen Kai und den dunklen Fünfkönigs-Pier. Allmählich schienen die Klippen zur Seite zu gleiten, und der Palast und die schlanke Spindel des Hohen Turmes tauchten vor ihm auf. Tauric überkamen Schuldgefühle und Bedenken. War es zu spät für eine Umkehr? Er stellte sich vor, wie er dem Kapitän enthüllte, wer er war und verlangte, wieder zur Landungsbrücke zurückzukehren …
Trotz seiner aufwallenden Angst bemerkte er, dass etwas am Strand vorging, an der Mündung des Olodar in der Nähe des Erden-Mutter-Tempels von Wybank. Gruppen von Menschen liefen mit Fackeln am Ufersaum flussabwärts dorthin, wo das felsige Ufer sich in grauen
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