02 - Schatten-Götter
…«
»Lügen?«
»Geschickt und laut, Meister Bardow. Lasst verkünden, dass der Kaiser an einen sicheren, geheimen Ort an der Küste Cabringas geschickt wurde. Und erklärt, unsere Suchexpedition diene der Verfolgung feindlicher Spione.« Er deutete auf Bardow. »Da wir das Ziel des Jungen kennen, könnten wir ihm jemand hinterherschicken.« Bardow hob die Brauen. »Trotz seines fünfstündigen Vorsprungs?«
»Sie sind zu sechst, einer von ihnen ist ein lahmer, alter Mann, und sie haben nur vier Pferde. Ein einzelner Mann zu Pferde könnte sie einholen, und ich kenne einen, der für diese Aufgabe geeignet ist.« Als Yasgur aufstand und sich den mit Pelz gesäumten, schwarzen Umhang überwarf, seufzte der Erzmagier. »Ihr habt Recht, Lordregent. Ich werde dafür sorgen, dass diese Nachrichten noch heute Nacht verkündet werden, falls Ihr einen Eurer Soldaten nach unserem verirrten Souverän ausschicken könnt.«
»Gut.« Yasgur ging zur Tür, öffnete sie und ließ einen Schwall kalter Luft hinein. »Bis morgen.« Die Tür fiel hinter ihm zu und schloss die Kälte wieder aus. Bardow starrte auf die Stelle, wo Yasgur gestanden hatte. Sein Mangel an Schlaf machte es ihm schwer, nachzudenken, doch gleichzeitig wurden seine Gedanken von Furcht und Zweifeln gepeitscht, hinter denen seine Verzweiflung wie ein gähnender Schlund lauerte. Kurz vor der Befragung der Weißen Gefährten hatte er mit Medwin in Gedankensprache konferiert und endlich die ganze Geschichte der gescheiterten Invasion und der schrecklichen Zerstörung erfahren, die Scallow heimgesucht hatte.
Am schlimmsten hatte ihn das Verschwinden von Gilly getroffen, der vom Feind gefangen genommen und offenbar verschwunden war, vielleicht sogar tot, und das von Keren, die offenbar lebend die Küste von Honjir erreicht hatte, aber von der heute keine Spur ausfindig gemacht werden konnte.
Wir fallen einer nach dem anderen, dachte Bardow düster. Selbst das Schicksal und das Glück scheinen sich gegen uns verschworen zu haben. Wann bin ich wohl an der Reihe? Vielleicht sollte ich zum Kapellfort reiten und das Ende dort mit dem Schwert in der Hand erwarten …
Er lächelte traurig, als ihm seine Pflichten und Bürden durch den Kopf gingen. Seine jüngste Aufgabe war es, ein Schwert der vereinten Kräfte zu schaffen. Ein Vorhaben, das zwar erst am Anfang stand, aber dennoch einen schwachen Hoffnungsschimmer bot.
Und nach dem Verlust von Keren, Gilly und jetzt auch Tauric bedurfte er aller Hoffnung, die er finden konnte. Atroc wartete in Yasgurs äußerem Gemach, nippte an einem Becher mit heißem Gewürzwein und betrachtete die Stammesspeere, welche die Wände schmückten, als der Prinz hereinkam. Er wurde von einem Schreiber und zwei Pagen begleitet. Als Yasgur Atroc sah, schickte er die Bediensteten in einen anderen Raum, schloss die Tür und winkte den alten Mann mit einem Finger zu sich. Atroc leerte den Becher, stellte ihn auf einen niedrigen Schemel und folgte Yasgur auf einen Balkon hinaus.
Von dieser Seite des Nachtfrieds aus schaute man auf ein enges Gewirr aus Dächern bis zu den breiten, von Fackeln beleuchteten Bastionen der Stadtmauer. Dahinter und darüber wirkte die Nacht wie eine Mauer aus Finsternis. Atroc hatte jedoch wenig Sinn für seine Umgebung. Er spürte den Grimm und die Entschlossenheit in Yasgur.
»Kannst du erraten, warum ich dich sehen wollte, Alter?«, fragte der Lordregent.
»Ihr spielt auf das ungelegene Verschwinden des Kaisers an, mein Prinz?«
»Allerdings.« Yasgur schaute finster ins Dunkle. »Dieser anmaßende Knabe hat sich von einem Lakai der Schattenkönige aus dem Palast locken lassen, der ihm die Macht eines lange verlorenen und vergessenen Gottes versprochen hat. Wenn das herauskommt, wird die Stadt unter einem Aufruhr erbeben, ganz gleich, was Bardow und das Hohe Konklave dagegen unternehmen.« Er beugte sich dichter zu Atroc hinüber. »Die Niederlage liegt in der Luft, alter Freund, und die Zeit unserer Trennung ist fast gekommen.«
Atroc sah ihn an. »Was soll ich tun, mein Prinz?«
»Der Mann, der mir die Botschaft gebracht hat, wohnt in der Herberge zu den Drei Herzögen. Sie liegt bei der Falkenbrücke, auf der Seite der Altstadt. Suche ihn auf und sage ihm, dass ich einem Treffen mit Welgarak und Gordag zustimme, und zwar so bald wie möglich. Sag ihm, dass ich mich vor dem Hafen treffen will und von Schiff zu Schiff mit ihnen sprechen werde.«
Atroc nickte, insgeheim verblüfft, wie gelassen er diese
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