Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
Vom Netzwerk:
doch die Gürtelscheiden waren leer, da sie ihre Waffen den Verwaltern der Zitadelle übergeben hatten. Finster musterten sie ihr Spiegelbild.
    »Und jetzt seht, wie es sein kann«, sagte Byrnak und fuhr mit seinen Armen über den Spiegel. Die Oberfläche zitterte. Dann sogen die beiden Mogaun scharf die Luft ein und fluchten anschließend beinahe ehrfürchtig. Welgaraks Spiegelbild trug nun eine bronzierte Rüstung mit einer Einlegearbeit, die das Mondemblem seines Clans in Gold und Perlmutt zeigte. Sein silbernes Haar war lang und glatt gekämmt, sein Vollbart dreifach gegabelt, und die Spitzen rot gefärbt. Gordag neben ihm trug eine bronzierte Brustplatte über einem glänzenden Kettenhemd und einen Helm mit roten Hörnern über seinem dunklen, zu feinen Zöpfen geflochtenen Haar. Beide hielten Streitäxte mit einem eisernen Heft in der Hand und wirkten größer und stattlicher. Ihre Blicke waren wild und stolz.
    Byrnak warf den beiden Häuptlingen einen Seitenblick zu und lächelte über ihr fasziniertes Schweigen. »Es gibt viel zu gewinnen«, sagte er einnehmend. »Von denen, deren Loyalität und Mut nicht wankt.« »Ich stehe zu Euch, Großer Gebieter«, sagte Gordag, der seinen Blick nicht von seinem Spiegelbild losreißen konnte.
    »Ich ebenfalls, Mylord.« Welgaraks Stimme klang träge und gelassen. »Welchen Dienst verlangt Ihr von uns?« »Sammelt alle Stämme und Krieger, derer ihr habhaft werdet, im Gehölz von Gulmaegorn in Nord Khatris. In wenigen Tagen sende ich euch Befehle, welche diese Welt für immer verändern werden.«
    Es kostete Welgarak und Gordag sichtliche Mühe, ihren Blick von ihren Reflektionen loszureißen und ihn anzusehen, und Byrnak amüsierte sich, als er den gierigen Ausdruck in ihren Augen bemerkte. »Wie Ihr befehlt, Großer Gebieter«, sagte Welgarak, »so soll es geschehen.« Gordag nickte heftig. »Gut. Nun geht und tut, wie ich Euch geheißen habe.«
    Die Spiegelbilder zeigten jetzt wieder die wahren Reflektionen, und obwohl kurz ein sehnsüchtiger Ausdruck die Mienen der beiden Häuptlinge überflog, verharrte das glitzernde Verlangen in ihren Augen. Als sie sich verbeugten und davongingen, schritten sie weit selbstbewusster aus, als sie gekommen waren. Da hatten sie noch unterwürfig und mürrisch gewirkt, wie zwei geprügelte Hunde.
    Byrnak lächelte, während er ihnen nachsah, als sie sich durch den Korridor entfernten. Es war subtile Hexerei, den Spiegel zu benutzen, um die Mogaun an die Illusionen ihrer größten Begierden zu binden. Wenn sie von nun an Zweifel oder Verzweiflung zu überwältigen drohte, würde dieser Zauber jedes Mal mit diesen glänzenden Visionen ihrer selbst diese Schwächen hinwegfegen. Das Bedürfnis, diese Pracht zu erlangen, würde ihre Loyalität besiegeln.
    Sie werden dich trotzdem verraten, Narr.
    Deine Besorgnis ist wirklich rührend, dachte Byrnak spöttisch. Wie schade, dass du es nicht für angebracht erachtet hast, uns vor Ystregul zu warnen.
    Zerschmettere ihren Willen, sage ich, binde sie an dich, nimm ihr Leben in die Hand. Führ sie an der Leine, diese Hunde …
    Byrnak lachte laut auf, trotz der barschen Stimme, die in seinem Schädel erklang. In der Vergangenheit hatte er in solchen Momenten gefürchtet, dass diese unentrinnbare Folter ihn irgendwann in den Wahnsinn stürzen würde. Aber er hatte eine Lösung gefunden: Er übertönte die verhassten, knirschenden Töne mit lauteren Geräuschen.
    Deshalb brachte er den Mund jedes geschnitzten Gesichtes, jeder Maske, jedes Pferdes und der Kreaturen an Wänden und Pfeilern dazu, einen wortlosen, lautstarken Gesang anzustimmen. Der dunkle, vermischte Chor Hunderter von Stimmen erfüllte die Luft so vehement, dass die Gemälde an ihren Nägeln erbebten, und der Gesang durch alle Seitengänge hallte. Und dies war alles, was Byrnak hörte, als er den langen, wunderschönen Korridor entlangschlenderte.

10
    Dann sagte er zur Maske des Königs:
»Die armselige Gerechtigkeit, die du geizig verteilst,
Lockert nur die Bande,
Die uns an deine ungerechten Hände fesseln?
Falls jemals wahre Gerechtigkeit in diesem
Nachtgebundenen Königreich erwacht,
Wird sie dir die Masken hinunterreißen!«
    MOMAS GOBRYN, DER PROZESS DES AETHEON, TEIL
    Die drei Delegierten und ihre Eskorte erreichten an einem grauen Nachmittag, sechs Tage nach ihrer Abreise aus Besh-Darok, an Bord einer Zweimastbarke Scallow. Ein kalter Wind zupfte an ihrem Haar, und als sie den vereisten Laufsteg hinabgingen, fiel Keren

Weitere Kostenlose Bücher