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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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erst kürzlich einen Versuch Caesars vereiteln konnte, ihn wegen Korruption ins Exil schicken zu lassen.
    »Dann müssen wir ihn eben wieder austricksen«, sagte Cicero. »Und wieder. Und wieder. So lange, wie es eben nötig ist. Aber ich glaube, ich habe ihn jetzt durchschaut. Außerdem hat meine Handhabung der Krise im Lauf des vergangenen Jahres gezeigt, dass mein Urteilsvermögen in solchen Dingen im Allgemeinen nicht das schlechteste ist.«
    Seine Besucher verfielen in Schweigen. Er war der Mann der Stunde. Sein Ansehen stand im Zenit. Vorerst fühlte sich keiner stark genug, um ihm zu widersprechen, nicht einmal Lucullus. Schließlich sagte Piso: »Und was geschieht jetzt mit den Verschwörern?«
    »Das zu entscheiden ist Sache des Senats, nicht meine.«
    »Sie werden auf dich schauen. Sie wollen, dass du ihnen den Weg vorgibst.«
    »Dann werden sie vergebens schauen«, sagte Cicero und fügte hinzu, deutlich lauter: »Bei allen Göttern, habe ich denn nicht schon genug getan? Ich habe das Komplott aufgedeckt. Ich habe verhindert, dass Catilina Konsul wird. Ich habe ihn aus der Stadt gejagt. Ich habe verhindert, dass man
halb Rom niederbrennt und uns in unseren Betten abschlachtet. Ich habe die Verräter hinter Schloss und Riegel gebracht. Und jetzt soll ich auch noch die Schande ihrer Hinrichtung auf mich nehmen? Es wird Zeit, meine Herren, dass ihr das Eurige tut.«
    »Und das wäre?«, fragte Torquatus.
    »Steht morgen im Senat auf und sagt, was eurer Meinung nach mit den Verschwörern geschehen soll. Gebt ihr den anderen den Weg vor. Erwartet nicht von mir, dass ich weiterhin die schwere Last trage. Ich werde euch einzeln aufrufen. Legt euren Standpunkt dar – etwas anderes als der Tod kommt wohl kaum infrage, ich sehe keinen anderen Weg. Legt ihn laut und deutlich dar, damit ich wenigstens, wenn ich vor das Volk trete, sagen kann: Ich bin das Werkzeug des Senats, ich bin kein Diktator.«
    »Du kannst dich auf uns verlassen«, sagte Catulus und schaute seine Begleiter an. Sie nickten alle. »Aber was Caesar angeht, da irrst du dich. Wir müssen ihn jetzt aufhalten. Diese Gelegenheit kommt nie wieder. Überschlaf das noch einmal, darum bitte ich dich dringend.«
    Nachdem sie gegangen waren, musste Cicero noch über gewisse makabre Eventualitäten nachdenken. Wenn der Senat auf Todesstrafe entschied, wann, wie, wo und von wem sollten die Verurteilten hingerichtet werden? Es gab keinen Präzedenzfall. Die Frage nach dem Wann war kein Problem: unmittelbar nach der Abstimmung, um jedem Befreiungsversuch zuvorzukommen. Von wem lag auch auf der Hand: Der amtliche Scharfrichter würde sie töten, damit war klargestellt, dass sie gewöhnliche Kriminelle waren. Das Wo und Wie war schon heikler: Man konnte sie schwerlich vor aller Augen vom Tarpejischen Felsen stürzen – das könnte zu Tumulten führen. Cicero zog den Befehlshaber seiner offiziellen Leibwache zurate, den Liktor Proximus, der ihm sagte, der beste Ort, weil am leichtesten zu bewachen, sei die Hinrichtungskammer
unter dem Carcer, dem Staatsgefängnis, das passenderweise direkt neben dem Tempel der Concordia lag. Für Enthauptungen sei der Raum zu klein und das Licht zu schwach, sagte er weiter, und so kamen sie per Ausschlussverfahren schließlich zu dem Ergebnis, dass die Gefangenen zu erdrosseln seien. Daraufhin benachrichtigte der Liktor den Scharfrichter und seine Helfer, dass sie sich bereithalten sollten.
    Ich sah, dass die Unterredung Cicero aufgewühlt hatte. Er sagte, er habe keinen Appetit und wolle nichts essen. Gegen einen kleinen Schluck aus Atticus’ hervorragendem Weinkeller hatte er aber nichts einzuwenden. Als er jedoch den Becher aus erlesenem neapolitanischem Glas hochhob, zitterte seine Hand so stark, dass er ihn fallen ließ und das Glas auf dem Mosaikboden zersprang. Daraufhin erklärte Cicero, dass er frische Luft brauche. Atticus wies einen Sklaven an, die verschlossenen Türen zu öffnen, und wir traten aus der Bibliothek auf die schmale Terrasse. Wegen der Sperrstunde glich das unter uns liegende Rom einem dunklen, unergründlichen See. Nur der von Fackeln erleuchtete Tempel der Luna an den Hängen des Palatin war deutlich zu erkennen. Er schien schwerelos in der Nacht zu hängen wie eine Art Schiff, das von den Sternen herabgeschwebt war, um uns zu kontrollieren. Wir lehnten an der Balustrade und grübelten vergeblich über das nach, was wir nicht sehen konnten.
    Cicero seufzte und sagte, mehr zu sich selbst als zu einem

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