02 Titan
fühlen können, und das ganze Fieber wird schnell wieder ausbrechen.« Er schaute deprimiert zu Aristoteles’ Büste hoch. »Die Philosophie der Goldenen Mitte scheint mir in dieser speziellen Zwangslage keine große Hilfe zu sein.«
Er rutschte auf seinem Stuhl nach vorn, beugte sich vor,
verschränkte die Hände im Nacken und starrte auf den Boden. An Ratschlägen mangelte es ihm nicht. Sein Bruder Quintus drängte ihn zu hartem Durchgreifen: Die Verschwörer seien so zweifelsfrei schuldig, dass ganz Rom, also praktisch die ganze Welt, ihn für einen Schwächling hielte, sollte er sie nicht mit dem Tod bestrafen. Sie befänden sich im Krieg! Der sanftmütige Atticus war der genau gegenteiligen Meinung: Wenn Cicero während seiner gesamten politischen Karriere für etwas gestanden hätte, dann für die Herrschaft des Rechts. Über Jahrhunderte hätte jedem Bürger das Recht zugestanden, gegen willkürliche Gerichtsurteile Berufung einzulegen. Worum, wenn nicht darum, sei es im Verres-Fall gegangen? Civis Romanus sum! Ich muss leider gestehen, dass ich eine feige Lösung vorschlug, als man mich um meine Meinung fragte. Cicero war nur noch sechsundzwanzig Tage im Amt. Warum die Verschwörer nicht irgendwo einsperren? Sollten doch seine Nachfolger über ihr Schicksal entscheiden. Quintus wie Atticus schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, als sie das hörten, aber Cicero sah durchaus die Vorteile, und Jahre später sagte er zu mir, dass ich Recht gehabt hätte. »Rückblickend bin ich jetzt auch schlauer«, sagte er. »Aber das ist natürlich die nie zu korrigierende Kehrseite von Geschichte. Wenn du dich an die Zeitumstände damals erinnerst, die Soldaten auf den Straßen, die bewaffneten Banden, die Gerüchte, Catilina könne jeden Augenblick die Stadt angreifen, um seine Komplizen zu befreien – ich musste Farbe bekennen, ich konnte mich nicht drücken.«
Der drastischste Rat kam von Catulus, der spätabends auftauchte, als Cicero gerade zu Bett gehen wollte. Er war in Begleitung anderer ehemaliger Konsuln, darunter die beiden Lucullus-Brüder, Lepidus, Torquatus und der frühere Statthalter von Gallia Cisalpina, Gaius Piso. Sie forderten die Verhaftung Caesars.
»Aufgrund welcher Beweise?«, fragte Cicero, wobei er sich müde erhob, um die Abordnung zu begrüßen.
»Hochverrat natürlich. Hegst du etwa auch nur den Hauch eines Zweifels, dass er von Anfang an seine Hand im Spiel hatte?«
»Nein. Es beweisen zu können ist allerdings etwas ganz anderes.«
»Dann besorg dir die Beweise«, sagte der ältere der Lucullus-Brüder mit glatter Stimme. »Dafür ist doch nur ein etwas ausführlicheres Geständnis von Volturcius vonnöten. Einige Worte, die Caesar in die Geschichte hineinziehen, und schon haben wir ihn.«
»Ich garantiere dir, dass im Senat eine Mehrheit für seine Verhaftung stimmen wird«, sagte Catulus unter zustimmendem Gebrummel seiner Begleiter.
»Und was dann?«
»Lass ihn mit den anderen hinrichten.«
»Das Oberhaupt der Staatsreligion aufgrund einer manipulierten Anklage hinrichten lassen? Das bedeutet Bürgerkrieg!«
»Der Bürgerkrieg wird eines Tages ohnehin ausbrechen, dafür wird Caesar schon sorgen«, sagte Lucullus. »Wenn du aber jetzt handelst, dann kannst du das verhindern. Denk an deine Machtstellung. Dir sind gerade erst Danksagungen gewährt worden. Dein Ansehen im Senat war nie größer.«
»Sicher sind mir die Danksagungen nicht deshalb gewährt worden, damit ich wie ein Tyrann meine Gegner abschlachte.«
»Sie sind dir gewährt worden«, erwiderte Catulus, »weil der Antrag von mir kam.«
»Weil Caesar dir das Amt des Pontifex Maximus entrissen hat, bist du so verblendet vor Hass, dass du keinen klaren Gedanken mehr fassen kannst!« Nie zuvor hatte ich Cicero so zu einem der alten Patrizier sprechen hören. Catulus zuckte
zusammen, als wäre er in eine Glasscherbe getreten. »Hör mir jetzt genau zu«, sagte Cicero und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Ihr alle, hört mir genau zu. Ich habe Caesar genau da, wo ich ihn haben will. Endlich habe ich das Ungeheuer am Schwanz. Wenn er heute Nacht seinen Gefangenen entfliehen lässt – einverstanden, dann können wir ihn verhaften, weil er uns damit den Beweis für seine Schuld liefert. Aber aus genau diesem Grund wird er das nicht tun. Er wird sich dem Willen des Senats zum Wandel fügen. Und ich habe vor, dafür zu sorgen, dass ihm das zur Gewohnheit wird.«
»Bis er wieder von vorn anfängt«, sagte Piso, der
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