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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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reißen.«
    Nach einer Weile fiel uns auf, dass zur Via Sacra hin, von uns aus gesehen auf der anderen Seite der Menge, gedrängelt und geschoben wurde. Schnell wusste jeder, dass Bibulus mit den drei Volkstribunen eingetroffen war, die gegen das Gesetz ihr Veto einlegen wollten. Das erforderte ungeheuren Mut. Um uns herum zogen Männer Dolche und sogar Schwerter unter ihrer Kleidung hervor. Es war klar, dass Bibulus und seine Gefolgsleute es nur unter Schwierigkeiten
schaffen würden, bis zu den Tempelstufen vorzudringen. Wir konnten sie nicht sehen, wir konnten nur anhand der Richtung, aus der das Geschrei kam, und der Welle der in die Luft erhobenen Fäuste ihren Weg nachverfolgen. Die Volkstribunen wurden schnell niedergeschlagen und weggetragen, aber Bibulus und in seinem Schlepptau Cato, den man aus dem Gefängnis entlassen hatte, schafften es schließlich, sich bis nach vorn durchzukämpfen.
    Bibulus schlug auf die Hände, die ihn festzuhalten versuchten, riss sich immer wieder los und kletterte schließlich aufs Podium. Unter der zerrissenen Toga waren seine nackten Schultern zu sehen, Blut lief ihm übers Gesicht. Caesar warf ihm einen kurzen Blick zu und sprach dann weiter. Der Lärm der rasenden Menge war ohrenbetäubend. Bibulus zeigte hinauf zum Himmel und fuhr sich mit einer ruckartigen Geste quer über den Hals. Er wiederholte diese Geste mehrere Male, bis jeder verstand, was er damit sagen wollte  – in seiner Funktion als Konsul hatte er den Himmel beobachtet, die göttlichen Vorzeichen stünden ungünstig, öffentliche Angelegenheiten könnten deshalb nicht verhandelt werden. Caesar ignorierte ihn nach wie vor. Dann näherten sich plötzlich zwei stämmige Burschen, die einen großen Bottich trugen, den man sonst zum Auffangen von Regenwasser benutzte. Sie stiegen auf das Podium, hoben den Bottich hoch und kippten eine widerliche braune Flüssigkeit über Bibulus, die ihn von Kopf bis Fuß durchnässte. Ich nehme an, dass die Menschen auf dem Forum die ganze Nacht über ihre Notdurft in diesen Bottich verrichtet hatten. Bibulus sprang zurück, rutschte dabei aus, die Beine schossen unter seinem Körper hervor, und er schlug hart mit dem Rücken auf. Einen Augenblick lang war er außer Atem und konnte sich nicht bewegen. Doch als er die nächsten zwei Burschen mit einem Bottich die Stufen heraufhasten sah, brachte er sich – was ich ihm nicht übelnehmen konnte –
krabbelnd und unter dem höhnischen Gelächter von Tausenden von Bürgern in Sicherheit. Er und seine Anhänger flohen aus dem Forum und fanden schließlich im Tempel des Jupiter Stator Zuflucht — in genau dem Tempel, aus dem Cicero mit seiner Rede Sergius Catilina verjagt hatte.
    Und so wurde unter höchst verachtenswerten Umständen Caesars große Landreform in das Gesetzesbuch aufgenommen: Zwanzigtausend von Pompeius’ Veteranen und danach diejenigen unter der armen Stadtbevölkerung, die mindestens drei Kinder vorweisen konnten, wurden auf diese Weise Besitzer von Bauernhöfen. Cicero wartete die Abstimmung, deren Ergebnis ohnehin feststand, gar nicht erst ab, sondern schlich nach Hause und weigerte sich für den Rest des Tages – so groß war seine Niedergeschlagenheit –, mit irgendwem zu sprechen, Terentia eingeschlossen.
    Am nächsten Tag zogen Pompeius’ Soldaten wieder durch die Straßen. Sie hatten die ganze Nacht durchgefeiert und wandten ihre Aufmerksamkeit nun dem Senatsgebäude zu. Sie versammelten sich auf dem Forum und warteten ab, ob der Senat es wagen würde, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung anzufechten. Sie ließen einen schmalen Weg frei, durch den drei oder vier Männer nebeneinander gehen konnten. Für mich war es ein einschüchterndes Erlebnis, neben Cicero durch die Menge der Soldaten hindurchzugehen  – obwohl sie Cicero durchaus freundlich begrüßten: »Vorwärts, Cicero! Vergiss uns nicht, Cicero!« Nie zuvor hatte ich die versammelten Senatoren deprimierter gesehen. Es war der erste Tag des neuen Monats, und den Vorsitz führte Bibulus, der einen Kopfverband trug. Er erhob sich und verlangte als Erstes, dass die Kammer die schändlichen Gewaltausbrüche des Vortages verurteilen müsse. Des Weiteren bestand er darauf, das Gesetz für ungültig zu erklären, weil die Vorzeichen ungünstig gewesen seien. Aber niemand war dazu bereit – nicht, solange draußen vor
der Tür mehrere Hundert bewaffnete Männer warteten. Als er in die schweigenden Gesichter blickte, verlor Bibulus die

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