02 Titan
Sache hier durchsprechen. Hier steht, dass du in Histria eine Armee verloren hast.«
»Nur die Fußtruppe.«
»Nur die Fußtruppe!« Cicero lachte. »Wann war das?«
»Vor einem Jahr.«
»Wer ist der Ankläger? Ist er schon benannt worden?«
»Ja, er ist gestern eingeschworen worden. Es ist dieser Günstling von dir – dieser junge Grünschnabel, Caelius Rufus.«
Das war ein furchtbarer Schock. Dass Rufus sich von seinem früheren Mentor in jeder Hinsicht entfremdet hatte, war kein Geheimnis. Dass er sich aber die Anklagevertretung gegen Ciceros Mitkonsul für seinen ersten bedeutenden Vorstoß ins öffentliche Leben ausgesucht hatte – das war durch und durch niederträchtig. Cicero war so bestürzt, dass er sich setzen musste. »Und ich dachte«, sagte er, »es ist Pompeius, der dich unbedingt vor Gericht zerren will.«
»Ist es auch.«
»Warum lässt er dann zu, dass jemand wie Rufus seine ersten Gehversuche vor Gericht bei so einem wichtigen Fall machen darf?«
»Keine Ahnung. Was ist jetzt mit dem Wein?«
»Jetzt lass mich mal für einen Moment mit deinem verdammten Wein in Ruhe!« Cicero rollte die Papyrusrolle zusammen, saß eine Zeit lang da und klopfte sich damit auf die Handfläche. »Irgendwas ist da faul. Rufus weiß viel über mich. Er könnte alle möglichen Dinge ans Licht zerren.« Er warf Hybrida die Rolle in den Schoß. »Ich glaube, du besorgst dir lieber einen anderen Anwalt.«
»Aber ich will dich! Du bist der Beste. Außerdem haben wir eine Vereinbarung, schon vergessen? Du bekommst einen
Teil von dem Geld, ich deine Hilfe, wenn sie mich vor Gericht zerren.«
»Ich habe zugesagt, dich zu verteidigen, wenn du wegen Korruption angeklagt wirst. Von Hochverrat war nie die Rede.«
»Das stimmt nicht. Du brichst dein Wort.«
»Jetzt hör mir mal zu, Hybrida. Ich werde als Zeuge für dich aussagen, aber das Ganze könnte eine Falle sein. Wahrscheinlich ausgeheckt von Caesar, oder von Crassus. Und ich wäre ein Trottel, wenn ich da reintappen würde.«
Hybridas Augen, die inzwischen tief im Fleisch versunken waren, leuchteten immer noch sehr blau, wie Saphire, die man in einen Klumpen roten Lehm gedrückt hatte. »Was man so hört, hast du dich ja ziemlich gesundgestoßen«, sagte er. »Häuser überall.«
Cicero machte eine überdrüssige Handbewegung. »Willst du mir etwa drohen?«
»Das alles hier«, sagte Hybrida und deutete auf verschiedene Gegenstände in der Bibliothek. »Sehr hübsch. Wissen die Leute eigentlich, woher du das Geld dafür hast?«
»Ich warne dich: Ich könnte auch jederzeit als Zeuge der Anklage auftreten.«
Aber die Drohung war hohl, und Cicero hat das wohl auch gewusst, plötzlich fuhr er sich nämlich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er irgendein verstörendes Bild verscheuchen.
»Ich glaube, du könntest jetzt auch einen Schluck Wein vertragen«, sagte Hybrida zutiefst befriedigt. »Danach sieht die Welt immer ein bisschen freundlicher aus.«
Am Abend vor der Abstimmung über Caesars Landreformgesetz drang vom Forum Lärm zu uns herauf – Hämmern
und Sägen, das Gegröle von Betrunkenen, Bravorufe, Schreie, das Geräusch zerbrechender Töpfe. Im Morgengrauen hing ein Schleier braunen Qualms über dem Gelände hinter dem Tempel des Castor, wo die Abstimmung stattfinden sollte.
Cicero zog sich sorgfältig an und ging hinunter aufs Forum. Er wurde von zwei Leibwächtern begleitet, zwei Mitgliedern des Personals – ich und ein weiterer Sekretär – sowie einem halben Dutzend seiner Klienten, die zusammen mit ihm gesehen werden wollten. Alle Straßen und Gassen, die zum Abstimmungsgelände führten, waren mit Bürgern verstopft. Viele traten zur Seite und machten uns den Weg frei, als sie Cicero erkannten. Aber mindestens genauso viele versperrten uns absichtlich den Weg und mussten von seinen Leibwächtern zur Seite gestoßen werden. Wir kamen nur mühsam vorwärts, und als wir schließlich eine Stelle gefunden hatten, von der aus wir einen guten Blick auf die Tempelstufen hatten, hatte Caesar schon zu sprechen angefangen. Es war unmöglich, mehr als das eine oder andere Wort zu verstehen. Zwischen uns und ihm drängelten sich Tausende von Menschen. Die meisten schienen alte Soldaten zu sein, die schon die ganze Nacht über ausgeharrt hatten. Sie hatten Feuer gemacht, um kochen und sich aufwärmen zu können. »Diese Männer sind nicht da, um an der Volksversammlung teilzunehmen«, sagte Cicero zu mir. »Sie wollen sie an sich
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