02 Titan
Orten? Hast du geglaubt, Rullus, dass wir dir und den wahren Architekten deiner dunklen Pläne …« Er zeigte auf Caesar und Crassus. »… ganz Italien schutzlos ausliefern, damit ihr es mit Garnisonen befestigen, mit Kolonien in Besitz nehmen und mit Ketten aller Art fesseln und knebeln könnt?«
»Nein!«, wurde von den Bänken der Patrizier gerufen. »Niemals!« Cicero streckte die Hand aus und schaute in eine andere Richtung, die klassische Geste der Ablehnung. »Diesen Vorhaben werde ich mich mit Leidenschaft und Hartnäckigkeit
widersetzen. Auch werde ich, solange ich Konsul bin, keinem gestatten, solche Pläne gegen den Staat ins Werk zu setzen, die er schon lange im Schilde führte. Ich bin entschlossen, mein Amt als Konsul auf die einzige Art zu führen, in welcher es in Würde und in Freiheit geführt werden kann. Ich werde nie nach der Herrschaft über eine Provinz streben, nie nach Ehrungen oder Auszeichnungen oder Vorteilen welcher Art auch immer, nach nichts, wogegen ein Volkstribun Einspruch erheben könnte.«
Er machte eine Pause, um die Bedeutung seiner Worte wirken zu lassen. Ich schaute nach unten, weil ich mit meinen Notizen beschäftigt war, aber jetzt hob ich ruckartig den Kopf. »Ich werde nie nach der Herrschaft über eine Provinz streben.« Hatte er das wirklich gesagt? Ich konnte es nicht glauben. Als die Tragweite dieses Satzes den Senatoren allmählich bewusst wurde, erhob sich Gemurmel.
»Jawohl«, sagte Cicero und übertönte die lauter werdenden ungläubigen Zwischenrufe. »Euer Konsul erklärt hiermit, am ersten Tag des Januar, vor versammelter Senatorenschaft, dass er, sollten die Verhältnisse in der Republik unverändert und nicht durch irgendeine Bedrohung gefährdet sein, der zu begegnen seine Ehre ihm gebietet, keine Herrschaft über eine Provinz annehmen wird.«
Ich schaute über den Gang zu dem Platz, wo Quintus saß. Er sah aus, als hätte er gerade eine Wespe verschluckt. Macedonia, die schillernde Aussicht auf Reichtum und Luxus, auf ein Leben ohne die Plackerei in den Gerichtshöfen, war gestorben!
»Unsere Republik wird von vielen verborgenen Wunden geplagt«, erklärte Cicero in dem düsteren Tonfall, den er immer anschlug, wenn er zum Ende kam. »Bösartige Bürger schmieden verbrecherische Komplotte. Doch von außen droht uns keinerlei Gefahr. Keinen König, kein Volk, keinen Staat müssen wir fürchten. Das Böse lauert innerhalb unserer
eigenen Mauern. Es sitzt im Innern, in unserem eigenen Haus. Jeder von uns hat die Pflicht, nach besten Kräften dagegen anzukämpfen. Wenn ihr mir versprecht, mit ganzer Hingabe unser aller Würde aufrechtzuerhalten, dann werde ich den sehnlichsten Wunsch der Republik sicherlich erfüllen können – dass nämlich die Autorität dieser Ordnung, die es in den Zeiten unserer Vorväter gegeben hat, nach langer Unterbrechung dem Staat wieder zurückgewonnen werden kann.« Und damit setzte er sich.
Nun, das war gewiss eine denkwürdige Ansprache, eine, die sich an Ciceros obersten rhetorischen Leitsatz hielt, dass nämlich eine Rede immer mit mindestens einer Überraschung aufzuwarten habe. Aber damit noch nicht genug der Schockbehandlung. Es war Sitte, dass der präsidierende Konsul, nachdem er seine Eröffnungsrede gehalten hatte, seinen Mitkonsul zu einer Stellungnahme aufforderte. Der laute Beifall der Mehrheit und die Buhrufe von den Bänken rund um Catilina und Caesar waren kaum verklungen, da rief Cicero: »Das Haus erteilt Antonius Hybrida das Wort!«
Hybrida saß in der ersten Bankreihe, die Cicero am nächsten war. Er warf Caesar einen kurzen, ängstlichen Blick zu und stand dann auf. »Das von Rullus eingebrachte Gesetz ist … soweit ich es kenne … nun ja, meiner Meinung nach … und angesichts der Lage unserer Republik … also, ich halte das Gesetz für keine gute Idee.« Er öffnete und schloss mehrmals den Mund. »Ich bin gegen das Gesetz«, sagte er und setzte sich ruckartig wieder hin. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, dann hob im gesamten Senatsgebäude ein Gebrüll an, in dem sich alle Arten von Gefühlen Bahn brachen – Spott, Zorn, Freude, Empörung. Es war klar, dass Cicero gerade ein bemerkenswerter politischer Coup gelungen war, denn jeder hatte fest damit gerechnet, dass Hybrida die mit ihm verbündeten Popularen unterstützen würde. Er hatte eine vollkommene Kehrtwendung
vollzogen, und der Grund dafür konnte nicht offensichtlicher sein – da Cicero aus dem Rennen um eine Provinz
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