02 Titan
demonstriere ich dem Volk durch meine noble Geste, dass ich ein Mann von Prinzipien bin, der das Wohlergehen der Republik über sein eigenes Gewinnstreben stellt.«
Quintus schaute Atticus an. Der zuckte nur mit den Achseln. »Hört sich logisch an«, sagte er.
»Was meinst du, Terentia?«, fragte Quintus.
Ciceros Frau hatte die ganze Zeit, was sehr untypisch für sie war, kein Wort gesagt. Auch jetzt sagte sie nichts, sondern schaute nach wie vor ihren Mann an, der ihren Blick gelassen erwiderte. Langsam griff sie mit einer Hand in ihr Haar und zog das Diadem aus ihrem dichten dunklen Lockenschopf. Ohne den Blick von Ciceros Gesicht abzuwenden, nahm sie dann ihre Halskette ab, löste die smaragdgrüne
Brosche vom Stoff über ihrer Brust und streifte nacheinander die goldenen Armreifen von den Handgelenken. Schließlich zog sie sich mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht die Ringe von den Fingern. Als sie das alles getan hatte, ließ sie den eben erst erstandenen Schmuck, der sich in ihren gewölbten Händen auftürmte, einfach auf den Boden fallen. Die glitzernden Edelsteine und das wertvolle Metall klackerten über den Mosaikboden. Dann drehte sie sich um und ging aus dem Raum.
KAPITEL IV
A m nächsten Morgen bei Sonnenaufgang mussten wir Rom verlassen. Wir waren Teil des großen Exodus der von ihren Familien und Bediensteten begleiteten Beamten, deren Pflicht es war, auf dem Albaner Berg am Latinerfest teilzunehmen. Terentia begleitete ihren Ehemann, die Stimmung im Innern der Kutsche war so frostig wie die Januarbergluft draußen. Der Konsul hielt mich auf Trab, er diktierte mir erst einen langen Bericht an Pompeius über die politische Lage in Rom und dann eine Reihe kürzerer Briefe an jeden einzelnen Provinzstatthalter, während Terentia sich schlafend stellte. Die Kinder reisten mit ihrem Mädchen in einer anderen Kutsche. Hinter uns erstreckte sich eine lange Wagenschlange mit den neu gewählten Herren Roms – als Erster Antonius Hybrida, dann die Prätoren Celer, Cosconius, Pompeius Rufus, Pomptinus, Roscius, Sulpicius und Valerius Flaccus. Nur der Stadtprätor Lentulus Sura blieb zurück, um die Sicherheit Roms zu gewährleisten. »Da könnte die Stadt abbrennen, und der Idiot würde es nicht mal merken« , meinte Cicero.
Am frühen Nachmittag erreichten wir Ciceros Haus in Tusculum, doch blieb uns nur wenig Zeit zum Ausruhen, da wir uns fast umgehend wieder auf den Weg machen mussten, um über die Leistungen der einheimischen Athleten zu richten. Der traditionelle Höhepunkt des Latinerfestes war
der Wurfwettbewerb, bei dem es Punkte für Weite, Haltung und Athletik zu vergeben gab. Cicero hatte keine Ahnung, welcher der Teilnehmer der beste gewesen war, so dass er schließlich verkündete, sie alle seien würdige Sieger und alle verdienten einen Preis, den er aus eigener Tasche bezahlen werde. Diese Geste wurde mit wohlwollendem Beifall seitens der Landbevölkerung aufgenommen. Als er wieder zu Terentia in die Kutsche stieg, hörte ich, wie sie zu ihm sagte: »Kommt wahrscheinlich in Macedonia alles wieder rein.« Er lachte, und damit taute die frostige Stimmung zwischen den beiden allmählich wieder auf.
Die Hauptzeremonie fand bei Sonnenuntergang auf dem Gipfel des Berges statt, der nur über eine gewundene steile Straße zu erreichen war. Als die Sonne untergegangen war, wurde es sehr kalt. Knöcheltief lag der Schnee auf dem felsigen Untergrund. Begleitet von seinen Liktoren, führte Cicero die Prozession an. Sklaven trugen Fackeln. An die Zweige der Bäume und Büsche hatten die Einheimischen kleine Figuren und Masken aus Holz oder Wolle gehängt, die an die Zeit erinnerten, als noch Menschenopfer dargebracht und ein kleiner Junge erhängt wurde, um das Ende des Winters zu beschleunigen. Die bittere Kälte, die zunehmende Dämmerung, die unheimlichen, im Wind raschelnden und schaukelnden Symbole – alles war von einer Schwermut durchdrungen, die ich kaum zu beschreiben vermag. Auf dem höchsten Punkt des Berges spie das Altarfeuer orange Funken in den Sternenhimmel. Zu Ehren Jupiters wurde ein Stier geopfert, Milch von den umliegenden Bauernhöfen wurde als Trankopfer dargebracht. »Mögen die Menschen sich der Zwietracht und des Haders enthalten«, verkündete Cicero. Auf den nach alter Tradition gesprochenen Worten schien an diesem Abend eine besondere Bedeutung zu lasten.
Als die Zeremonie vorüber war, stand ein riesiger Vollmond
wie eine blaue Sonne am Himmel und tauchte den
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