02 - Von dir kann ich nicht lassen
während er ans
Fenster trat und mit den Fingernägeln aufs Fensterbrett trommelte, »dass sie
vielleicht keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, indem sie
verschwenderische Ausgaben tätigt?«
Es kam
Mick Boden entschieden seltsam vor, ein Vermögen zu stehlen und dann nichts
davon auszugeben. Warum hatte die junge Frau es überhaupt gestohlen, wenn sie
in Candleford als Tochter des früheren und Verwandte des jetzigen Earl im
Überfluss gelebt hatte? Und wenn sie zwanzigjahre alt und so hübsch war, wie
der Earl sie beschrieben hatte, müsste sie dann nicht mit Freuden eine
vorteilhafte Verbindung mit einem reichen, jungen, feinen Herrn eingehen?
Es war
mehr an dieser ganzen Sache, als offensichtlich war, dachte Mick nicht zum
ersten Mal.
»Glauben
Sie, sie hätte vielleicht Arbeit angenom men?«, fragte er.
»Es ist
mir in den Sinn gekommen.« Seine Lordschaft trommelte weiterhin mit den
Fingern, während er stirnrunzelnd aus dem Fenster sah.
Wie
viel Geld war entwendet worden?, fragte sich Mick. Es musste gewiss sehr viel
gewesen sein, wenn das Mädchen bereit gewesen war, dafür zu töten. Aber es war
natürlich auch Schmuck im Spiel, und es war an der Zeit, dass er diese
Möglichkeit, das Mädchen aufzuspüren, näher erkundete.
»Dann
werden meine Assistenten und ich die Stellenvermittlungen befragen«, sagte er.
»Das ist schon einmal ein Anfang. Und alle Pfandleiher und Juweliere, die, den
Schmuck von ihr gekauft haben könnten. Ich werde eine Beschreibung aller Stücke
brauchen, Sin«
»Verschwenden
Sie Ihre Zeit nicht«, erwiderte der Earl kalt. »Sie würde nichts davon
versetzen. Versuchen sie es bei den Stellenvermittlungen. Versuchen Sie es bei
allen möglichen Arbeitgebern. Finden Sie sie.«
»Wir
wollen gewiss nicht, dass eine gefährliche Verbrecherin auf nichts ahnende
Arbeitgeber losgelassen wird, Sir«, stimmte Mick ihm zu. »Welchen Namen könnte
sie benutzen?«
Der
Earl wandte sich dem Kriminalbeamten zu. »Welchen Namen?«
»Bei
Lady Webb hat sie ihren richtigen Namen benutzt«, erklärte Mick, »und auch in
jenen ersten beiden Nächten im Hotel. Danach ist sie verschwunden. Es kam mir
in den Sinn, Sir, dass sie die kluge Idee gehabt haben könnte, ihre Identität
zu verbergen. Welchen Namen könnte sie außer ihrem eigenen noch benutzen?
Besitzt sie irgendwelche zweiten Vornamen? Kennen Sie den Mädchennamen ihrer
Mutter? Den Namen ihres Dienstmädchens? Den Namen ihrer alten Amme? Irgendeinen
Namen, mit dem ich es bei den Stellenvermittlungen versuchen könnte, wenn keine
Sara Illingsworth verzeichnet ist?«
»Ihre
Eltern nannten sie stets Jane.« Der Earl kratzte sich am Kopf und blickte
düster drein. »Lassen Sie mich nachdenken. Ihre Mutter war eine Donningsford.
Ihr Dienstmädchen ...«
Mick
notierte die Namen, die er genannt bekam.
»Wir
werden sie finden, Sir«, versicherte er dem Earl of Durbury erneut, als er
wenige Minuten später aufbrach.
Es
blieb jedoch eine seltsame Angelegenheit. Der einzige Sohn dieses Mannes lag im
Koma, mit einem Fuß bereits im Grab. Er könnte sogar in diesem Augenblick schon
tot sein, und doch hatte sein Vater ihn zurückgelassen, um die Frau zu suchen,
die ihn zu töten versucht hatte. Aber der Mann verließ seine Hotelsuite
niemals, soweit Mick wusste. Die Möchtegern-Mörderin hatte ein Vermögen
gestohlen, und doch vermutete der Earl, sie könnte vielleicht Arbeit suchen.
Sie hatte Schmuck gestohlen, aber seine Lordschaft wollte diesen Schmuck nicht
beschreiben oder in den Pfandleihen danach suchen lassen.
Wirklich
eine sehr seltsame Angelegenheit.
Nach einer Woche,
in der er sich nur zwischen seinem Bett im Schlafzimmer, dem Sofa im Salon und
der Chaiselongue in der Bibliothek bewegt hatte, war Jocelyn kolossal
gelangweilt. Was wahrscheinlich die Untertreibung des Jahrzehnts war. Seine
Freunde schauten häufig herein tatsächlich jeden Tag und
überbrachten ihm die letzten Neuigkeiten und den neuesten Klatsch. Sein Bruder
sprach vor und redete über kaum etwas anderes als das Karriolenrennen, wobei
Jocelyn ein Vermögen dafür gegeben hätte, wenn er es selbst hätte bestreiten
können. Seine Schwester schaute herein und sprach unaufhörlich über solch
schillernde Themen wie Hüte und ihre Nerven. Sein Schwager machte einige
Höflichkeitsbesuche und diskutierte mit ihm über Politik.
Die
Tage waren lang, die Abende noch länger, die Nächte endlos.
Jane
Ingleby wurde seine fast ständige Begleiterin. Diese Erkenntnis amüsierte
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