02 Winter am Ende der Welt
irgendwelche Postvorschriften, weil er ja nicht der Empfänger war, sondern ich, aber was soll´s. Das Popcorn war mit Karamell und Nüssen, die Flasche ein Merlot und das Päckchen von Clara. Inhalt: ein Film von Alan.
Den haben wir natürlich nicht gesehen, sondern lieber einen Film, den ich noch aus der Bibliothek hatte, diesen Film mit Elvis Presley mit dem Titel: Ob Blond ob Braun , mit viel Musik und harmlosem Sechziger-Jahre-Ambiente. Elvis und sein Freund auf der Weltausstellung in Seattle, 1962, ist ja auch lange her. Und irgendwie erscheint diese Welt aus heutiger Sicht unglaublich heil. Heil und harmlos. Freundlich und friedlich. Unbeschwert und – na jedenfalls waren wir in dieser Zeit noch Kinder, Jeff und ich. Er in Vancouver und ich in Hamburg.
Danach ist die Flasche Merlot leer und Jeff sagt: Lass uns doch mal in den Film vom Alan reingucken. Was wir dann auch machen. Und weil wir beide Singles sind und weil ja Kathleen neulich am Telefon gesagt hat, dass seine Frau schon so lange tot ist, und weil ich ja nun auch von Jorge getrennt bin und Jorge mit der Catarina zusammen ist und er ihr treu sein will, gemeinerweise, und weil ich nicht mit älteren Damen in Tibet Kamillentee trinken will, und natürlich auch, weil Alans Film schon gut gemacht ist und ansprechend und überhaupt, lehne ich mich doch echt rüber zu Jeff und gebe ihm einen Kuss.
Und – eigentlich sind die neunzig Sekunden doch jetzt bestimmt um, oder?
Aber weil Clara nicht da ist, um mich zu stoppen, denke ich leider weiter. An den peinlichen Moment, wie Jeff sich erst geduldig küssen lässt und mich dann vorsichtig von sich entfernt. Und an den noch peinlicheren Moment, wo er halblaut sagt, ach was soll´s schon, und mich zurück küßt.
Und an den oberpeinlichen Moment, der die beiden peinlichen Momente von vorher noch toppt, wo uns beiden klar wird: Das mit dem Sex ist ja schön und gut, aber in unserem Fall gehört da anscheinend mehr dazu als zwei willige Singles.
Und jetzt, wo die neunzig Sekunden mehr als um sind, und wo es raus ist, kann ich plötzlich drüber lachen und ich mache Facebook auf und schreibe Jeff an die Pinnwand: schön, dass wir´s mal versucht haben . Und Jeff antwortet postwendend: finde ich auch .
Und da ich jetzt gerade auf Facebook bin, sehe ich auch gleich die neuen Nachrichten.
Eine Freundschaftsanfrage von Carlota. Das ist nett, die bestätige ich doch gleich. Und egal, wie es mit meinem Leben weitergeht, Carlotas Weihnachtskekse werden mir für immer in Erinnerung bleiben. Ganz besonders die Vanillekipferl.
Eine Freundschaftsanfrage von Catarina.
Jeez Louise. Was soll ich denn jetzt damit machen? Ablehnen? Melden?? So nach dem Motto: Das ist die Frau, die mir meinen Ehemann gestohlen hat. Was man so natürlich nicht wirklich sagen kann, denn ich bin ja erst gegangen, in den Augen des Ehemannes sogar grundlos, bin einfach aus seinem Leben verschwunden, und dann hat sie ihn nur noch einsammeln müssen. Also bestätigen. Dann sehe ich wenigstens, was in Catarinas Leben so los ist und damit natürlich auch in Jorges Leben, was mich ja eigentlich nichts mehr angeht, aber leider immer noch interessiert.
Meine Anzahl Freunde auf Facebook beträgt damit achtundvierzig und ist noch weit von der Freundeszahl meiner Schwiegermutter und vom Ziel der Prinzessin entfernt. Und Prinzessin ist auch gleich das Stichwort, die Lena hat nämlich eine Nachricht geschickt.
Hi Jasmin, bin verliebt, aber er beachtet mich nicht, will nicht mit Paul oder Mama drüber reden. Was soll ich tun? Lena
Willkommen im Club, Prinzessin. Willkommen im Club.
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Claras Ratschlag mit der Dating-Site ist der komplette Blödsinn, das sehe ich jetzt, wo ich mich angemeldet habe. Und nun weiß ich nicht, wie ich diesen Blödsinn wieder abstellen kann. Und jetzt bekomme ich alle drei Tage eine Art Auszug aus dem Gruselkabinett zugeschickt. Im Schnitt sechs Männer, mit Foto, Internet-Pseudonym, Alter, zusammengefasst unter der Überschrift: JasminM, diese Männer entsprechen doch genau dem, was Sie suchen.
NEIN , das tun sie nicht. Da irrt die Dating-Site. Aber gründlich. Denn im Grunde entsprechen alle diese Männer ziemlich genau dem, was ich nicht suche. Sie sehen alle so aus, als ob sie die perfekten Kandidaten für eine Fernsehshow wären. Für eine von den Doku-Soaps, wo die Mama schnell noch den Sohnemann unterbringen will, ehe sie ins Grab fällt, beruhigt, weil ja jetzt jemand anderes die Suppe für ihr Söhnchen
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