02 Winter am Ende der Welt
spielt einfach nicht mit, sozusagen. Er zahlt seine Rechnung, und grundsätzlich nur seine und keinen halben Cent mehr, wie wir an diesem Wochenende gelernt haben. Aber vielleicht ist es auch kein Wunder, dass man jeden Glauben an irgendeine universelle Gerechtigkeit verliert, wenn man erlebt hat, was Jeff erlebt hat.
Und was ist mit mir?
Ganz ehrlich – die Tatsache, dass jetzt meine Schwiegermutter, die eigentlich achttausend Kilometer entfernt wohnt, hier durch meine unaufgeräumte Wohnung läuft, lässt mich an eine kosmische Kontrollinstanz glauben.
Die Jasmin Monteiro läuft Gefahr, sozial zu verwahrlosen? Da schicken wir doch die Schwiegermutter, damit die Wohnung mal wieder aufgeräumt wird. Und als Begleitung für die Schwiegermutter nehmen wir das Kuckuckskind. Was ja jetzt so nicht stimmt, weil das Kuckuckskind nicht bei mir aufgewachsen ist, sondern von meinem Mann in ein fremdes Nest gelegt ...
„Jasmin“, sagt Dona Teresa. „Ist alles in Ordnung?“
„Alles bestens“, sage ich. „Alles bestens.“
Ich setze die beiden ins Wohnzimmer und setze einen Tee auf. English Breakfast mit Honig. Ich mache einen kleinen Teller mit Keksen zurecht, Chocolate Chip Cookies und Haferkekse. Ich serviere den Tee und die Kekse und so sitzen wir im Wohnzimmer. Joana hat dunkle lange Haare, die sie offen trägt, sie ist jung und hübsch, die Brille ist modisch und peppig und passt perfekt zu ihren Augen, sie sieht aus wie ihre Mutter damals und sie macht einen netten Eindruck. Sie ist in Jeans, T-Shirt und Sweatshirt gekleidet, praktisch für die Reise, nix Auffälliges, bis auf eine abgefahrene Silberkette, ein echtes Designerstück. Meine Schwiegermutter sieht aus wie immer. Grau-blaue Dauerwelle, Goldschmuck, Schneiderkostüm. Aus rosa Bouclé. Mit goldenen Knöpfen. Dazu Pumps.
„Ich wollte ja Kekse mitbringen“, sagt meine Schwiegermutter. „Aber die Joana war dagegen. Wegen dem Zoll.“
Ich nicke.
„Aber ich sehe mal, dass ich die Zutaten hier im Dorf finde“, sagt Dona Teresa. „Und dann backe ich morgen.“
„Es gibt hier einen Supermarkt“, sage ich. „Gleich um die Ecke.“
„Nicht diese Zutaten“, sagt Maria Teresa. „Die anderen Zutaten. Und das hier ist übrigens die Joana.“
„Ich weiß“, sage ich. Und dann reiße ich mich zusammen und denke an meine Manieren und begrüße endlich das Mädchen.
„Ich hoffe, wir stören nicht“, sagt Joana.
Nicht stören? Aber hallo, die beiden stören total, endlich gab es mal einen Abend, auf den ich mich richtig gefreut habe, der erste Abend seit langem, der erste Abend, seit ich aus Lissabon weg bin, der erste Abend, wo ich das Gefühl habe, vielleicht fängt ein neues Leben an und da kommt die Vergangenheit in Form von diesen beiden Besuchern und vermasselt mir alles.
„Nein, überhaupt nicht“, sage ich.
„Hätt ja sein können“, sagt Dona Teresa. „So unangemeldet. Ist sonst eigentlich nicht meine Art. Ganz und gar nicht meine Art. Aber dann ist ja gut.“
Nichts ist gut.
„Wie seid ihr eigentlich hierher gekommen?“, frage ich.
Small Talk aus Verlegenheit und ein bisschen interessiert es mich auch, ich habe keinen Leihwagen vor der Tür stehen sehen und öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht.
„Wir sind getrampt“, sagt meine Schwiegermutter. „Mit dem Laster vom Supermarkt. Und ich soll dir ausrichten, dass sie jetzt wieder Pfefferminzshampoo haben.“
„Danke“, sage ich, obwohl ich Pfefferminzshampoo genauso wenig brauche wie diesen Besuch hier. Frage mich, wie der Besitzer auf die Idee kommt, dass ich dieses Shampoo will, es ist ja genau das Shampoo, das ich nicht will. Ich seufze. Irgendwie geht alles schief in meinem Leben.
„Ach Jasmin, Kind“, sagt die Schwiegermutter. „Tut mir alles leid, irgendwie.“
Und da fange ich doch in der Tat an zu schniefen. Ich fasse es nicht. Ach Mann.
„Kind, Kind, Kind“, sagt meine Schwiegermutter und sucht in ihrer unmodischen Handtasche nach einem Taschentuch. Sie drückt mir ein Stofftaschentuch in die Hand. Bestickt mit Monogramm MTCM . Vermutlich noch aus der Zeit von Es geschah in einer Nacht . Noch aus der Zeit vor Schreibmaschine und LP.
„Ist dir eigentlich klar, dass ich dich immer beneidet habe?“, sagt meine Schwiegermutter.
„Wirklich?“, sage ich. Beneidet? Worum kann sie mich denn beneidet haben.
„Als ihr damals in Lissabon angekommen seid, der Jorge und du“, sagt sie, „nach dieser langen Busfahrt. Ihr wart so ungewaschen und so
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