020 - A.S. der Unsichtbare
Kopf.
Sie fanden noch weitere Kerzenspuren in Merrivans Arbeitszimmer und entdeckten im Kamin auch einen Kerzenstumpf.
»Es war nicht einmal dieser Beweis nötig, um zu erkennen, daß ein Mensch von Fleisch und Blut und kein Gespenst hier sein Wesen getrieben hat«, sagte Andy. »Ohne eine Autorität auf dem Gebiet zu sein, weiß ich doch, daß sie keine Kerzen brauchen.«
Er wickelte den Stumpf sorgfältig in ein Stück Papier.
»Was wollen Sie damit anfangen?« fragte Wilmot erstaunt.
Andy lächelte.
»Für einen Mann, der mir noch eben vorschlug, mich nach Fußspuren auf dem Asphalt umzusehen, sind Sie eigentlich sehr schwerfällig, Wilmot. Dieser Kerzenstumpf ist doch mit Fingerabdrücken bedeckt. Der Mörder, ob er nun bei klarem Verstand oder wahnsinnig war, fühlte sich zu dem Ort der Tat hingezogen, wahrscheinlich war er schon häufig hier.«
Andy sagte Wilmot und Nelson nichts von seinen Plänen. Zuerst mußte er Mrs. Crafton-Bonsor aufsuchen. Aber sie ließ sich nicht sprechen, und als Andy die Dringlichkeit seines Besuches betonte, weigerte sie sich noch hartnäckiger, ihn zu empfangen. Scottie war ihr Bote.
»Das sind so Weiberlaunen«, sagte er halblaut. »Es hat keinen Zweck, Macleod, sie ist in dieser Beziehung unnachgiebig und hart wie ein neolithisches Fossil. Ich habe mein Bestes getan, aber sie will Sie nicht sehen.« »Scottie, ich habe Sie immer gut behandelt, Sie müssen mir jetzt helfen. In welchen Beziehungen stand Albert Selim zu ihr?«
Scottie zuckte die Schultern.
»Man soll die Vergangenheit einer Frau nie erforschen wollen, Macleod. Vergangenheit ist tot, damit die Zukunft glücklich sei.«
»Die Zukunft interessiert mich nicht, aber über Mr. Crafton-Bonsors Vergangenheit möchte ich etwas erfahren«, sagte Andy unwillig. »Ich werde sie sprechen - oder ich mache Schwierigkeiten!«
Scottie verschwand und blieb fast eine halbe Stunde weg.
»Sie ist zweifellos krank, Macleod, als Arzt werden Sie das sofort sehen. Trotzdem will sie Ihnen zwei Minuten schenken. Aber bleiben Sie bitte nicht zu lange.«
Mrs. Bonsor lag auf einer Couch. Scottie hatte nicht übertrieben. Die Erwähnung des Mordes hatte eine schlechte Wirkung auf die Frau gehabt. Ihre vollen Wangen schienen eingesunken zu sein, die Anmaßung, die sonst in ihren blauen Augen lag, war verschwunden.
»Ich habe Ihnen nichts zu erzählen, Sir«, sagte sie bei Andys Eintritt scharf.
»Hat Scottie Ihnen nicht mitgeteilt...«, begann er.
»Nein«, rief sie mit schriller Stimme, »und ich sehe nicht ein, mit welchem Recht Sie hier eindringen, um mich auszuhorchen!«
»Waren Sie mit Albert Selim bekannt?«
Sie zögerte.
»Ja, ich kannte ihn«, erwiderte sie dann widerstrebend. »Vor vielen Jahren. Ich werde aber mit Ihnen nicht darüber sprechen. Meine Privatangelegenheiten gehen niemand etwas an. Es ist mir ganz gleich, ob Sie Polizeibeamter sind oder nicht. Ich habe nichts zu verbergen, glauben Sie mir das.«
Andy wartete, bis sie geendet hatte.
»Sie hießen früher Hilda Masters und heirateten einen John Severn in der Sankt-Pauls-Kirche in Kensington«, sagte er dann.
Sie starrte ihn hilflos an und begann gleich darauf zu schreien.
Scottie bewahrte bei diesem Zusammenbruch der verzweifelten Frau die Ruhe. Er war zugleich behutsam und bestimmt, beruhigend und ironisch. Andy ließ die beiden taktvoll eine halbe Stunde allein, dann kam Scottie zu ihm heraus.
»Macleod, sie wird Ihnen die Wahrheit sagen. Und da Stenografie von jeher meine Lieblingsbeschäftigung war, werde ich alles mitschreiben. Ich schrieb hundertachtzig, als ich jung war, und es gab nur wenige Stenotypisten, die mich an Schnelligkeit im Maschinenschreiben übertrafen. Mirabel spricht kein erstklassiges Englisch, und es ist besser, ich bringe alles gleich in Polizeisprache. - Sie ist sommersprossig und hat Plomben im Mund, und sie mißfiel mir, als ich sie das erstemal sah. Aber ich habe die Frau jetzt gern. Sie ist nicht mehr allzu jung, aber man nimmt es nicht mehr so genau, wenn man selbst älter wird. Sie fragen sie am besten, und ich schreibe das Wichtigste aus ihren Antworten auf.«
Andy war einverstanden, und aus dieser sonderbaren Zusammenarbeit ergab sich eine noch sonderbarere Geschichte.
30
»Ich heiße Mirabel Hilda Crafton-Bonsor. Ich weiß nicht sicher, ob dies der wirkliche Name meines verstorbenen Mannes war. Wahrscheinlich hieß er Michael Murphy. Er war irischer Abstammung, und als ich ihn kennenlernte, war er Unternehmer in
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