020 - Das Schiff der schwarzen Piraten
musterte ihn. »Wo ist Vicky Bonney?«
Nelson lächelte. »Das fragen ausgerechnet Sie mich?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Na hören Sie, Sie haben doch Miß Bonney selbst aus meinem Haus fortgeholt.«
Odas grüne Augen weiteten sich. »Ich?«
»Oda war die ganze Zeit mit uns zusammen«, sagte Lance Selby.
»Tatsächlich?« Marvin Nelson kratzte sich verwirrt hinter dem Ohr. »Dann verstehe ich nicht…«
»Was ist geschehen?« fiel ihm Oda ins Wort. Ihr war ein furchtbarer Verdacht gekommen.
Nelson zuckte die Schultern. »Ich unterhielt mich mit Miß Bonney. Es klopfte. Ich öffnete. Sie, Miß Oda, standen draußen. Sie wollten Miß Bonney irgend etwas zeigen.«
»Was?« fragte die weiße Hexe.
»Keine Ahnung. Wenn Sie nun behaupten, mit Miß Bonney nicht weggegangen zu sein, begreife ich nicht…«
»Wohin bin ich mit ihr gegangen?« fiel Oda dem Mann wieder ins Wort. »Konnten Sie das sehen? Begab ich mich mit Vickey Bonney zum Heimatmuseum?«
»Nein, Sie gingen mit ihr zum Hafen. Waren das wirklich nicht Sie, Miß Oda?«
»Zum Hafen. Und weiter?«
»Sie verschwanden mit Miß Bonney in diesem alten Bootshaus.«
»Würden Sie uns das Bootshaus zeigen, Mr. Nelson?« fragte Oda hastig.
»Selbstverständlich.« Marvin Nelson führte sie zu dem schäbigen Gebäude.
Oda kletterte als erste die wackelige Leiter hinauf. Lance Selby, Frank Esslin und Marvin Nelson folgten ihr. Lance und Frank trugen dünne Kugelschreiberlampen bei sich. Die schalteten sie ein. Das Innere des alten Bootshauses wurde spärlich erhellt.
Sie durchsuchten jeden Winkel, konnten Vicky Bonney jedoch nicht finden.
»Was sagst du dazu, Oda?« fragte Lance Selby.
»Hier!« rief Frank Esslin. »Kampfspuren!«
Sie eilten zu ihm. Aus dem Boden war eine armlange Latte herausgebrochen. Schleifspuren von Schuhen waren zu erkennen.
»Was hat das alles zu bedeuten?« fragte Marvin Nelson beunruhigt.
»Beschreiben Sie das Mädchen, das Vicky Bonney aus Ihrem Haus holte, Mr. Nelson«, verlangte Lance Selby.
»Sie sah haargenau aus wie Miß Oda.«
»Kann sie verkleidet gewesen sein?«
»Nein, auf gar keinen Fall. Wenn es nicht Miß Oda selbst war, muß es sich um ihre Zwillingsschwester gehandelt haben.«
»Das ist es«, sagte Lance und schnippte mit dem Finger.
»Haben Sie eine Zwillingsschwester, Miß Oda?« fragte Nelson.
Der Blick der weißen Hexe verdüsterte sich. »Leider ja. Ihr Name ist Yora.«
»Wieso bedauern Sie, eine Schwester zu haben?«
»Weil Yora auf der Seite des Bösen steht. Ich dachte, Tony Ballard hätte ihr in Alton das Handwerk gelegt. Doch irgendwie zweifelte ich auch daran. Ich befürchtete, Yora könnte Tony ausgetrickst haben, und genau das hat sie getan. Sie verbrannte nicht im Höllenfeuer ihres Krematoriums, sondern machte sich auf diesem Wege aus dem Staub.«
Oda erzählte, was sich in Alton ereignet hatte.
»Seither sinnt Yora nach Rache«, sagte die weiße Hexe. »So etwas läßt sich die Dämonin nicht gefallen. Sie konnte das schon immer: den günstigsten Zeitpunkt abwarten, um zurückzuschlagen. Jetzt, wo niemand mit ihr rechnete, wo Tony Ballard und Mr. Silver irgendwo sind, wo wir uns auf Rufus und die schwarzen Piraten konzentrierten, war ihre Zeit gekommen. Sie wird Tony Ballard nie verzeihen, was er ihr angetan hat, und sie hat sich bestimmt eine grausame Rache ausgedacht.«
»Der Vicky Bonney zum Opfer fallen soll«, sagte Frank Esslin mit belegter Stimme.
»Sie weiß, daß sie Tony Ballard damit am schmerzhaftesten treffen kann«, sagte Lance Selby.
»Wohin hat sie Vicky Bonney gebracht, Oda?« fragte Frank Esslin gespannt.
Die weiße Hexe kniff die Augen zusammen und antwortete leise: »Es würde mich nicht wundern, wenn sie sich mit Vicky auf das Geisterschiff begeben hätte.«
***
Meine innere Uhr – jeder Mensch besitzt eine – verriet mir, daß die Zeit auf Coor mit der Zeit auf der Erde nicht synchron lief. Ich erinnerte mich an meine beiden Abenteuer im Reich der grünen Schatten, wo es auch diese Zeitabweichung gegeben hatte. [4]
Es wäre für uns von Vorteil gewesen, wenn die Zeit auf der Erde langsamer vergangen wäre als hier auf Coor, dann wären wir nicht so lange abwesend gewesen.
Während wir durch die düstere Schlucht eilten, weilte ich mit meinen Gedanken in Cullkirk. Ich hätte gern die Reaktion von Rufus und den schwarzen Piraten gesehen, nachdem mich die Geisterhand aus ihrer tödlichen Mitte fortgeholt hatte.
Und ich fragte mich, wie es in
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