0207 - 1:0 für einen Gangster
Gastfreundlichkeit einer Freundin hatte in Anspruch nehmen müssen, und nun besaß sie plötzlich eine ganze Menge sehr guter Kleidungs- und Wäschestücke.
Aber kenne sich einer mit Frauen aus. Sie kaufen sich Kleider, auch wenn sie keine Wohnung und vielleicht sogar nichts zu essen haben.
»Haben Sie ein Bild von Miss Bossert hier?«, forschte ich.
»Aber gewiss. Dort drüben auf der Toilette muss…« Sie hielt inne, eilte hinüber, und dann meine sie: »Merkwürdig, Grace hat ihr Foto mitgenommen.«
Sie schlug ein Album auf, wie man es zum Einkleben von Bildern benutzt, blätterte es durch und sagte:
»Hier ist auch nichts. Ich glaubte doch, ich hätte zwei Bilder von ihr darin gesehen.« Sie schüttelte den Kopf.
»Hat Ihre Freundin Ihnen gesagt, wann sie zurückzukommen gedenkt?«
»Nein. Es ging alles so schnell und hastig, dass ich auch gar nicht daran dachte, danach zu fragen.«
»Hat Sie Ihnen auch keinen Grund für diese plötzliche Abreise genannt?«
»Nein, auch das nicht.«
»Und wie wird das nun mit der Miete?«, meinte ich. »Was geschieht nun, wenn Miss Bossert nicht so bald oder gar nicht zurückkommt?«
»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Es ist ja erst der dritte des Monats, und sie hat die Miete am ersten bezahlt. Geld hat sie mir auch dagelassen. Da drüben liegt es.«
Tatsächlich, unter einem Aschenbecher lag ein Päckchen Zehn-Dollarscheine.
»Sollte Miss Bossert sich bei Ihnen melden oder zurückkommen, so sagen Sie ihr, dass ich hier gewesen bin und sie bitte, sich sofort mit mir in Verbindung zu setzen.«
Ich gab dem Mädchen meine Karte und ging.
Wieder ein Sackgasse. Wohin ich auch vordrang, der Weg führte immer ins Leere oder gegen eine Mauer.
Sicher war nur, dass Grace Bossert kein unschuldiges Lämmchen war, sonst hätte sie es nicht nötig gehabt, die Flucht zu ergreifen und ihre Wohnung und einen immerhin erheblichen Teil ihrer Habseligkeiten im Stich zu lassen.
Irgendjemand aus der ORIENTAL BAR musste sie gewarnt haben, ob es ein Angestellter oder ein Gast gewesen war, wusste ich natürlich nicht zu sagen. Vielleicht hatte es sogar eines der Tanzmädchen getan.
Unseren beiden Leuten sagte ich, sie möchten auf alle Fälle bis auf weiteres auf ihrem Posten bleiben. Es bestand ja immerhin die Möglichkeit, dass die Bossert jetzt glaubte, die Luft sei rein und wieder zurückkam. Vor allem musste ich mir ein Bild von ihr beschaffen. Ich fuhr also zur ORIENTAL BAR und warf den Geschäftsführer aus den Federn. Der Mann gab mir ein Foto, aber auf diesem war das Mädchen zum Auftritt geschminkt und im Kostüm. Sie sah darin aus wie die Mehrzahl ihrer Kolleginnen. Mit diesem Bild konnte ich nichts anfangen, aber ich nahm es auf alle Fälle mal mit.
Es gab noch eine andere Möglichkeit. Diese war umständlich, aber ich musste es versuchen. Ich ging zu Mr. High und bat ihn, zu veranlassen, dass die Post für Grace Bossert und Magde Sherman uns vorgelegt werde, bevor man sie zustellte. Vielleicht kam ein Brief an die Bossert, aus dem man ersehen konnte, wohin sie sich gewandt hatte, vielleicht schrieb sie auch an ihre Freundin Magde und gab dabei eine Adresse an.
Mr. High versprach, das in die Wege zu leiten. Die Bewachung des Hauses musste ich aufheben. Es konnte ja noch Wochen dauern, bis das Mädchen sich entschloss zurückzukommen.
Dann rief ich Lieutenant Crosswing an und bat ihn, nachforschen zu lassen, ob ein Mädchen namens Grace Bossert oder auch Magde Sherman bei der Polizei registriert sei.
»Ich habe gehört, Sie hätten heute nacht in der ORIENTAL BAR eine Schießerei gehabt«, sagte er. »Das hängt doch nicht mit unserer Sache zusammen?«
»Ich vermute doch. Ich werde es Ihnen erklären, sobald wir uns sehen. Was ist denn mit Hester Harvey los?«
»Es geht ihr, wie der Arzt sagt, den Umständen entsprechend gut. Ich wollte gerade ins Hospital gehen und sie vernehmen.«
»Warten Sie. Ich komme zu Ihnen und gehe mit.«
Das Hospital war in Wirklichkeit nichts anderes als ein Flügel des großen Gefängnisses. In dem weiß getünchten Zimmer, in das man Hester Harvey gelegt hatte, merkte man wenig von der Gefängnisatmosphäre. Allerdings war das Fenster vergittert, und die Tür hatte an der Innenseite keine Klinke.
Hester Harvey war noch etwas blass und mitgenommen, schien aber im Übrigen in Ordnung zu sein. Der Arzt hatte uns dennoch gebeten, vorsichtig mit ihr umzugehen.
»Bei diesen Nervenschocks weiß man niemals, was daraus
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