0209 - Die Gruft mit dem Höllenauge
paßten mindestens fünf Särge hinein, denn unter der Platte weitete sie sich zu beiden Seiten.
Nur ein Sarg stand darin.
Er war seltsamerweise gut erhalten, obwohl er nicht aus Stein gefertigt war, sondern aus dunklem Holz. Der Sarg stand so, daß Horace Sinclair direkt auf seinen Deckel schauen konnte.
Dort lag er.
John Sinclair sein unheilvoller Ahnherr!
Horace schwitzte plötzlich. Er schaute auf die Grabplatte, die ein paar Schritte weiter etwa kniehoch über den Boden schwebte, und er dachte an seinen Vorsatz.
Er wollte in die Gruft steigen und das Geheimnis seines Ahnherrn ergründen. »Ich gehe runter«, flüsterte er.
Miller hatte die Worte gehört. »Nein, Horace!« durchbrach seine Stimme das schmerzhafte Jammern des Piloten. »Tu es nicht, bitte! Ich flehe dich an!«
»Ich muß, Gordon. Verdammt, ich muß es. Ich will endlich das Geheimnis lüften. Das kann nicht so weitergehen. Vielleicht finde ich eine Möglichkeit, Mr. Evans zu befreien. Und drück mir die Daumen, wir beide müssen stark sein.«
»Was willst du da unten? Den Sarg öffnen?«
»Ja.«
»O Gott, nur das nicht.«
»Sei ruhig, Gordon. Verdammt, sei ruhig.« Horace Sinclair bückte sich und stützte sich dabei mit einer Hand am Rand der offenen Gruft ab. Sie war ja nicht tief, er konnte springen. Wenn er es geschickt anstellte, würde er neben dem Sarg landen, so daß der alten Totenkiste nichts passierte.
»Horace, bitte…«
Der ehemalige Rechtsanwalt hörte nicht. Das war sein Fall. Der Name Sinclair war gefallen, und er wollte das Geheimnis seines Ahnherrn lüften.
Er sprang.
Schon in der Luft gab er sich Schwung, so daß er neben dem Sarg landete. Dumpf schlugen dabei seine Füße auf. Er knickte auch in den Knien ein und fing sich wieder.
Dann schaute er sich um.
Unheimlich war die Gruft schon. Die Wände bestanden aus dicken Steinen. Man hatte sie übereinander geschichtet und sie schienen wirklich eine Ewigkeit zu halten.
Im Laufe der Jahre hatte allerlei Getier in der Gruft seine Heimat gefunden. Käfer und Würmer krabbelten über die Steine und suchten Ritzen, wo sie verschwinden konnten und dabei geschickt den an den Innenwänden hängenden Spinnweben auswichen, so daß sie sich nicht darin verfingen.
Durch die Öffnung fiel genügend Licht. Horace F. Sinclair konnte den Sarg gut erkennen. Dunkler war es nur dort, wo rechts und links des Sargs sich die seitliche Begrenzung der Gruft befand, denn dort fiel kaum Licht hin.
»Horace?« Millers Stimme klang dünn.
»Ja, ich bin hier.«
»Alles in Ordnung?«
»Natürlich. Was sollte denn nicht in Ordnung sein? Ich schaue mir jetzt den Sarg genauer an.« Sinclair antwortete bewußt forsch.
Er war allerdings ehrlich gegen sich selbst und mußte zugeben, daß ihm auch nicht besonders wohl zumute war. Doch er hatte einmal in den sauren Apfel gebissen und mußte ihn auch hinunterschlucken.
Gedämpft hörte er das Wimmern des Piloten. Hier in der Gruft hatte es einen hohlen Klang bekommen, wenn es seine Ohren erreichte. Und verdammt, er tat es auch wegen dieses Mannes. Er konnte es nicht mehr länger mit ansehen und auch mit anhören. Dieser Mensch mußte gerettet werden.
Genau schaute er sich den Sarg an. Er war pechschwarz. Wie Miller erzählte, hatte man den Ahnherrn umgebettet. Wahrscheinlich war er dabei in den neuen Sarg gelegt worden. Wann die Umbettung genau geschehen war, wußte auch Gordon Miller nicht. Wahrscheinlich zu Beginn des Jahrhunderts oder noch früher.
Trotzdem hätte der Sarg längst verfault sein müssen.
Das dies nicht geschehen war, machte Horace F. Sinclair mißtrauisch.
Etwas skeptisch blickend blieb er neben der Totenkiste stehen. Die an den Seiten angebrachten Verschlüsse des Sargs bestanden aus Messing. Im Laufe der Zeit hatte das Metall Grünspan angesetzt. Er klebte förmlich an den Griffen.
Sinclair runzelte die Stirn. Erschaute wieder nach oben und sah den viereckigen Ausschnitt der Öffnung. Sollte er versuchen, den Sarg zu öffnen oder sollte er nicht?
Er tat es.
Horace Sinclair bückte sich und schaute sich die Verschlüsse an. Sie waren leicht zu öffnen, man brauchte sie nur hochzuklappen. Schrauben konnte er nicht sehen.
Er konzentrierte sich so auf sein Vorhaben, daß er auf die Stimmen außerhalb des Grabs nicht achtete. Er nahm sie wohl im Unterbewußtsein wahr, was allerdings gesprochen wurde, das war ihm egal. Der Sarg war wichtiger.
Zwei Verschlüsse hatte er gelöst, ging um die Totenkiste herum und lockerte
Weitere Kostenlose Bücher