0209 - Die Gruft mit dem Höllenauge
aus dem Fenster schauen konnten, wobei die Landschafsform sehr oft wechselte. Manchmal sahen wir grüne Hügel, dann wiederum hohe Berge, dazwischen Wald, kleine Seen und auch große Weideflächen.
Über allem lag ein wuchtiger Himmel. Dicke, unförmige Wolken, vom Wind getrieben, und zwischen ihnen lugte ein strahlendes Blau. Hier kämpfte der Frühling gegen den Winter. Letzterer würde verlieren, da gab es nichts, er konnte den Lauf der Zeit einfach nicht aufhalten.
Der Zug fuhr natürlich nicht durch. An kleinen malerischen Bahnhöfen stoppte er, ließ Fahrgäste ein- oder aussteigen. Postsäcke wurden ein- und ausgeladen, es ging noch alles sehr gemütlich zu.
»Na, was sagst du?« fragte ich Suko, der mir gegenübersaß.
Der Chinese hob die Schultern. Er war noch nie mit so einer Eisenbahn gefahren. »Nicht schlecht.«
»Könnten wir öfter machen.«
»Natürlich, wenn ein Fall auf einen Ort konzentriert bleibt und wir nicht hin-und herfahren müssen.«
»Ich merke schon, dir fehlt der richtige Draht zur Eisenbahn. Solche Stunden, Suko, die muß man auskosten. Wer weiß, wie lange die alten Dampfloks noch fahren. In vielen Ländern gibt es sie überhaupt nicht mehr. Auch in Schottland werden immer mehr Strecken elektrifiziert oder von Dieselloks befahren.«
»Vielleicht sehe ich das wirklich falsch«, gab der Chinese zu.
»Bestimmt.«
Der Schaffner erschien. Höflich bat er um die Fahrkarten. Wir gaben ihm unsere, er knipste sie durch. »Nach Maghel wollen Sie?« fragte er.
»Ja«, erwiderte ich. »Stimmt etwas nicht?«
»Doch, doch.«
»Warum fragen Sie dann?«
»Da ist was passiert.«
»Wann?«
Da der Schaffner Zeit hatte, ließ er sich neben Suko auf der Bank nieder und beugte sich vor, wobei er die Arme verschränkte. »Dieser Zug fährt durch Maghel, da hört man so einiges. In der vergangenen Nacht ist dort ein Segelflugzeug abgestürzt. Und wissen Sie wo?«
Suko und ich sahen den Mann so gespannt an, daß wir uns eine Antwort sparen konnten.
Der Schaffner senkte seine Stimme. »Direkt auf einen Friedhof, Gentlemen. Können Sie sich das vorstellen, daß ein Segelflugzeug auf einem Friedhof abstürzt?«
»Kaum«, gab Suko zu.
»Sehen Sie, ich auch nicht.« Der Mann schob seine Mütze in den Nacken und nickte.
Ich stellte eine realistischere Frage. »Hat der Pilot denn überlebt?«
»Ja, Sir, er hat.«
»Konnte er etwas über die näheren Umstände des Absturzes sagen?«
»So gut bin ich nicht informiert. Sie wissen ja, man hört so etwas aus zweiter und dritter Hand, und die Leute machen immer etwas dazu. Aber in der vergangenen Nacht hat es ein fürchterliches Gewitter gegeben. Ein Frühjahrsgewitter, das sich stundenlang in den Bergen festgesetzt hatte. Schlimm, kann ich Ihnen sagen. In so ein Gewitter ist der Mann mit seinem Flugzeug geraten. Da gab es keine Rettung. Die Maschine ist einfach abgeschmiert, wie man so schön sagt.«
»Da hatte der Mann wirklich Glück«, sagte Suko.
»Ich weiß nicht so recht, ob man das sagen kann«, meinte der Schaffner. »Da ist nämlich hinterher mit ihm noch etwas passiert, wie die Leute sagen.«
»Und was?«
Jetzt senkte der Schaffner seine Stimme. »Der Friedhof ist nicht ganz geheuer, wissen Sie. Da spukt es, da sollen alte Geister lauern. Die schlimme Vergangenheit wird oft lebendig. Man kann wirklich Angst bekommen.«
»Was ist denn nun passiert?«
»Der Pilot kann nicht mehr weg.«
»Wie?« fragte ich.
»Ja, der Friedhof läßt ihn nicht los. Wie einen Gefangenen hält er ihn fest.«
»Hat man Stacheldraht um ihn gezogen?« hakte Suko nach, wobei sich seine Lippen zu einem Lächeln kräuselten.
»Sie sollten nicht spotten, Mister. Hier in Schottland gibt es so viele Geheimnisse, die man nie wird lösen können. Die Vergangenheit, die alten Flüche und Legenden, die leben weiter, überall.« Er deutete aus dem Fenster. »In jedem Berg, in jedem Hügel, auf jedem Friedhof. Dieses Land lebt nicht nur an der Oberfläche, sondern auch tiefer, wenn Sie verstehen.«
Wir nickten, um den Mann zu animieren, damit er weiterredete. »Aber was hat das alles mit dem Friedhof und dem Absturz des Flugzeugs zu tun?« brachte ich ihn wieder auf die richtige Schiene.
»Der Friedhof in Maghel birgt ebenfalls ein Geheimnis, von denen ich gesprochen habe.«
»Aber was für eins?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich kenne die Geschichte nicht genau. Ich habe sie Ihnen auch nur erzählt, weil Sie bis Maghel fahren, damit Sie nicht zu überrascht
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