0217 - Die Hexeninsel
dachte daran, wie die Hexe ihn malträtiert hatte, als er auf dem Boden lag und ihre Finger spürte. Schmerzwellen waren durch seinen Körper getobt. Jetzt versuchte sie es auf eine andere Art und Weise, aber sie sollte sich geschnitten haben, das schwor er sich. »Nun?«
Dieses Wort wirkte bei dem Arzt wie eine Zündung. Er hob den Blick und schaute in das Gesicht der Hexe. Sie lächelte.
Dieses Lächeln lenkte ihn für Bruchteile von Sekunden ab. Es wirkte völlig natürlich, nicht falsch, und er fragte sich plötzlich, wieso er diese Frau bewachte.
Auch mit ihrem Körper hatte sie recht gehabt. Die Haut schimmerte durch die lose aufeinanderliegenden Tücher. Weiße, weiche, helle Haut. Voll und schwer der Busen, dunkler die Brustwarzen und leicht aufgerichtet. Der Schwung der Hüften, das etwas ausladende Becken, die langen Beine mit den nackten Füßen… Seine Kehle wurde noch trockener.
»Und so etwas willst du töten?« erkundigte sich die Hexe mit lauernder Stimme. »Willst du das wirklich?«
»Ich-ich…«
»Na siehst du, mein kleiner Liebling. Jetzt weißt du keine Antwort mehr. Möchtest du meinen Körper nicht streicheln? Soll er nicht dir allein gehören? Für immer und alle Zeiten? Wenn du zustimmst, dann nimm das Messer weg.«
Er hob den Blick, sah in das Gesicht der Hexe und in ihre Augen, die sich auf seltsame Art und Weise verändert hatten. Sie schauten nicht mehr so klar und rein, sondern waren wie Sensoren, die die Tiefe seiner Seele erforschen wollten.
Dr. Brenner kannte solche und ähnliche Blicke. Er hatte Kollegen, die sich mit Hypnose beschäftigten, und in diese Richtung schien alles Wirken der Hexe zu laufen.
Ja, sie wollte ihn hypnotisieren, einlullen, schläfrig machen, um dann zuzuschlagen.
Diese Erkenntnis war auf einmal da, und er wußte, daß er sich nicht irremachen lassen durfte. Er mußte stark bleiben, wenn er gewinnen wollte.
Auch die Hexe ahnte, daß nicht alles so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie wurde leicht nervös, und als Dr. Brenner den Kopf schüttelte, wagte sie einen letzten Versuch.
»Los, jetzt, komm mit mir! Wir gehen…«
»Nein!« schrie der Arzt.
»Ja!« brüllte die Hexe dagegen und reagierte. Sie hielt es nicht mehr aus, löste ihre gespreizten Arme von der Wand und klappte sie zusammen.
Sie hatte die Hände dabei gekrümmt und wollte die Kanten links und rechts gegen Alwin Brenners Hals schlagen. Sie war sehr schnell, brauchte für die Aktion nicht einmal die Spanne einer Sekunde, aber der Arzt merkte trotzdem, was los war, und er reagierte ebenfalls. Er ließ sich fallen.
Eine Handbreit höchstens war die Messerspitze nur vom Hals der Hexe entfernt. Den Kopf brachte sie zwar noch zur Seite, aber die Spitze zielte schräg nach unten, und die Klinge drang in die obere rechte Schulter der Hexe.
Durch den Schwung war auch Brenner nach vorn geworfen worden, so daß die beiden Handkanten nicht den Hals, sondern sich selbst hinter seinem Kopf trafen.
Er vernahm noch das Klatschen und spürte, wie die Hexe vor ihm erstarrte. Dann geschah etwas Ungewöhnliches, was er nie in seinem Leben vergessen würde, aber so schaurig war, daß gellende Schreie aus seinem weit geöffneten Mund drangen…
***
Ich sprang aus dem Wagen und schaute in die Flammenwand. Von der Straße hörte ich die grellen Sirenen der Löschwagen und vernahm die Bremsgeräusche. Gleichzeitig schallten Stimmen durch die Nacht. Die verantwortlichen Einsatzleiter gaben entsprechende Befehle an ihre Leute, die schnell und prompt ausgeführt wurden.
Ich war natürlich gespannt, wie sich die Hexen verhalten würden. Griffen sie an? Konnten sie es sich leisten, gegen noch mehr Menschen vorzugehen und sie in den Strudel des Verderbens zu reißen? Oder wollten sie weiteres Aufsehen vermeiden, was bei Dämonen oft der Fall ist?
Ich sah die Flammenwand und stellte fest, daß die Feuerzungen längst nicht mehr so hoch leckten. Sie waren zusammengesunken, die Bäume brannten überhaupt nicht mehr, und ihre verkohlten Äste stachen wie die Finger eines Riesenzombies anklagend in den nachtdunklen Himmel. Ich suchte natürlich die Hexen, aber ich sah sie nicht mehr. Wikka und ihre Gefährtinnen hatten es vorgezogen zu verschwinden.
Unwillkürlich schaute ich in den Himmel. Weit oben glaubte ich ein grünes Leuchten zu sehen, was allerdings auch eine Täuschung sein konnte und mir die Restflammen vorgegaukelt hatten.
Jane Collins hatten sie mitgenommen. Nicht als Entführte, sondern
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