0219 - Acht Kugeln für das dritte Opfer
großen römischen Tageszeitung. Dort hatte man nämlich die Meldung gebracht, daß man aus dem New Yorker Hafen, mitten in der Stadt, zwei unbekannte Leichen gefischt habe, die vermutlich Italiener gewesen waren.
Bastiano war damals sechsundzwanzig Jahre alt, und er arbeitete als Baggerführer auf einer großen Baustelle. Er war einer jener Burschen, die zäh, hart und ausdauernd sind. Es dauerte eine Weile, bis Bastiano sich für etwas entscheiden konnte, aber wenn er sich einmal entschieden hatte, gab es verdammt wenig, was ihn von seinem Vorsatz abbringen konnte.
Mit seinem jüngeren Bruder Tonio hatte er eigentlich nie ein besonders gutes Vertrauensverhältnis gehabt. Sie waren immer ihre eigenen Wege gegangen. Und in vielerlei Dingen waren sie stets gegenteiliger Meinung gewesen. Vor allen anderen Dingen aber waren ihre politischen Auffassungen weit auseinandergegangen. Tonio, der jüngere, hatte sich einer radikalen politischen Gruppe angeschlossen, die vom Gesetz nur noch eben geduldet wurde. Was das Gesetz hingegen nicht mehr dulden konnte, waren die Terrorakte, die jene Gruppe eines Tages unternahm, weil sie sich davon einen bestimmten politischen Erfolg ausrechnete. Es war so weit gekommen, daß die Polizei hinter Tonio her war.
Bastiano hatte sich im stillen eins gegrinst, als Tonio ihm sagte, er müßte Italien verlassen und nach den USA gehen, wenn er vermeiden wollte, daß ihn die römische Polizei in die Finger bekam. Diese Sache entbehrte wirklich nicht einer gewissen Komik. Ausgerechnet die USA, gegen die Tonios politische Gesinnungsgenossen so oft zu Felde gezogen waren, sollten jetzt dafür herhalten, Tonios Freiheit zu bewahren. Aber Bastiano dachte, Tonios radikale Überzeugungen würden sich in den Staaten ändern. Also begrüßte er den Wunsch seines jüngeren Bruders, nach Amerika auszuwandern.
»Aber wie willst du es machen?« fragte er seinerseits. »Die römische Polizei wird . dir bei der Auswanderung nicht behilflich sein. Und gegen die Polizei kannst du bestimmt nicht in die USA einwandern. Wahrscheinlich wird man von dir ein polizeiliches Führungszeugnis verlangen.«
Tonio hatte damals vielsagend den Kopf geschüttelt:
»Irrtum, Bastiano. Ich kenne Jemanden, der Italiener auch ohne Papiere in die Staaten bringt und ihnen drüben sogar einen Job verschafft.«
»Ach, das gibt‘s doch nur in Gangsterfilmen«, hatte Bastiano erwidert, »So? Und woher glaubst du, hat Stinoccio sein Geld? Womit verdient er es? Eben durch diese illegalen Auswanderer nach den USA!«
Stinoccio war ein stadtbekannter Schieber, der zwar nie arbeitete, aber immer mit dem Geld nur so um sich schmiß. Als dieser Name ins Spiel gekommen war, fühlte sich Bastiano eigentlich nicht mehr so recht wohl bei dem Gedanken, daß sich sein Bruder einem derart schleimigen Burschen anvertrauen wollte. Aber er sah ein, daß Tonio nur die Wahl hatte zwischen der römischen. Polizei und Stinoccio, Und so war Tonio denn eines Tages aufgebrochen zur großen Reise. Natürlich hatte er versprochen, Bastiano unter einem Decknamen zu schreiben.
»Und wenn du selber Lust hast, nach drüben zu kommen«, waren Tonios letzte Worte gewesen, »dann laß es mich wissen. Ich arrangiere das dann schon. Amerika ist ein großes Land mit ganz anderen Möglichkeiten als hier. Okay, Bruder? Mach‘s gut!«
Und damit war Tonio gegangen. Das war Ende Oktober 1959 gewesen. Und im Mai oder Juni 1960 brachte eine römische Tageszeitung die Meldung vom Auffinden zweier Toter im New Yorker Hafen. Zweier Toter, die vermutlich Italiener gewesen waren. Bastiano zählte einfach die Tatsachen zusammen: 1. Sein Bruder war nach den USA ausgewandert. 2. Entgegen seinem Versprechen hatte er nie etwas von sich hören lassen. 3. Man hatte aber Leichen gefunden, die wahrscheinlich Italiener gewesen waren.
An die Polizei wollte sich Bastiano nicht wenden. Immerhin war sein Bruder illegal in die Staaten ausgewandert. Aber die Geschichte einfach auf sich beruhen lassen, wollte Bastiano auch nicht. Und wenn sie tausendmal verschiedene Meinungen gehabt hatten, Tonio war sein Bruder, und er war der ältere. Es war seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich um den Verbleib seines Bruders zu kümmern.
Also war Bastiano eines Tages zu Stinoccio gegangen.
»Ich will in die USA«, sagte er. »Aber aus bestimmten Gründen fürchte ich, daß ich keine Einwanderungserlaubnis kriegen würde.«
Na ja, Stinoccio war vorsichtig wie ein gebranntes Kind. Aber er wollte
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