022 - Schreie aus dem Sarg
Nachwirkungen im
Blick Ihrer Augen, Monsieur. Ich hoffe dennoch, Sie können mir folgen. Weshalb
ich mich Keita nannte, hängt damit zusammen, dass hier in Epernay und Umgebung
seit der Rückkehr Ihrer Tochter einige Afrikaner leben, die den Tod Ihrer
Tochter herbeigeführt haben. Seit geraumer Zeit ahnen wir, dass ein
guinesischer Arzt namens Keita irgendetwas mit dieser Gruppe und auch mit
anderen Gruppen in meinem Land zu tun hat. Wir beobachteten ihn seit langer
Zeit, konnten ihm aber bisher noch nicht das Geringste nachweisen. Ich bin
Angehöriger der Staatlichen Geheimpolizei. Seit drei Monaten reise ich durch
Europa. Ich versuchte, mit den Familien Kontakt aufzunehmen, deren Töchter und
Söhne in Conakry entführt wurden und auf seltsame Weise zu Tode kamen. In drei
Fällen kam ich zu spät. Man hatte die Unglücklichen bereits beerdigt – scheintot ! In Ihrem Fall kam ich gerade
noch rechtzeitig. Vor wenigen Stunden nun habe ich erfahren, dass man auch
Ihren Sohn entführt hat und versuchen wird, ihn nach Guinea zu schaffen, damit
er dort dem gleichen dämonischen Ritual unterzogen wird wie Ihre Tochter. Doch
seien Sie unbesorgt, wir verfolgen bereits eine heiße Spur.«
Eine kleine Kunstpause trat ein. Mamadou Lamine schien sich auf diese
Begegnung gut vorbereitet zu haben, aber die geistige, seelische und
körperliche Verfassung des Franzosen beeinträchtigte sein Vorhaben.
»Man hat Ihnen übel mitgespielt. Ich fürchte, Sie wissen nicht, was sich
heute alles ereignet hat. Wahrscheinlich wird Ihnen ewig verborgen bleiben, was
geschah. Dieser Tag hinterlässt eine Lücke in Ihrem Gedächtnis. Auch dies ist
das Werk der Sektierer. Sie wenden rücksichtslos Substanzen an, die das Leben
anderer Menschen von Grund auf verändern, wenn nicht ganz und gar vernichten.
Wir müssen ihnen endlich das Handwerk legen. Um noch einmal auf Keita zu
kommen: Er verkehrt in den höchsten Kreisen. Und aus diesen Kreisen
verschwanden die jungen Männer und jungen Damen. Das lässt sich lückenlos
nachweisen. Ihre Tochter war kürzlich zu Besuch in Conakry. Sie nahm an einem
Ball teil, auf dem auch Keita mit ihr tanzte. In der gleichen Nacht war Ihre
Tochter verschwunden. Ähnlich erging es vor zwei Tagen Monsieur Luison. Er
befand sich mit seiner Familie auf einem Fest. Keita war da. Nanette Luison
verschwand. Bis zur Stunde habe ich keine weitere Nachricht. Doch ich hoffe,
auch hier noch helfen zu können.«
»Luison? Nannten Sie eben den Namen Luison?«
Simonelle zermarterte sich das Hirn. Plötzlich war da wieder ein Bruchstück
in seiner Erinnerung.
»De Freille«, kam es wie ein Hauch über seine Lippen. » Ich war in der Wohnung von de Freille !« Er schrie es plötzlich
heraus, dass der Afrikaner zusammenzuckte. »Jetzt weiß ich es wieder.« Er
schluckte. »De Freille tot, die Telefonnummer von Luison in Conakry! Er hat sie
oben auf den Rand der Zeitung geschrieben und ...!« Es sprudelte nur so über
seine Lippen.
Mamadou Lamine hörte schweigend zu. Seine Augen leuchteten. »Man hat Ihnen
dort aufgelauert«, fuhr der Afrikaner fort, die Zusammenhänge blitzartig
begreifend. »Sie wurden niedergeschlagen ... man injizierte Ihnen eine harte
Droge, die Ihr Gedächtnis durcheinanderbrachte. Sie verloren die Zusammenhänge,
und ...«
»... und man schaffte mich in mein eigenes Haus.« Simonelle fuhr sich über
seine schweißnasse Stirn. Hastig griff er nach dem Drink und schüttete ihn
herunter. »Dort erwachte ich ... was für ein teuflisches Spiel ...! Was wurde
aus Claudine? Ich muss die Polizei benachrichtigen, und ...«
»Diese Dinge nehme ich Ihnen ab. Über eines allerdings müssen Sie sich
klarwerden: Ich bin nicht in der Lage, zu helfen, wenn Sie sich zu lange Zeit
lassen. Ihre Tochter muss auf dem schnellsten Weg nach Guinea.«
»Was sagen Sie da?«
Mamadou Lamine nickte. »Sie haben sich nicht verhört, Monsieur. All das,
was dort geschah, kann – ich betone ausdrücklich – kann rückgängig gemacht werden. Ob Ihre Tochter einen geistigen
Schaden davonträgt, kann ich in dieser Stunde noch nicht sagen. Nur eines kann
ich mit Gewissheit sagen: Sie wird das augenblickliche Dasein, das für sie
weder Leben noch Tod ist, garantiert nicht mehr führen. Wenn es noch nicht zu
spät ist, auch diese Einschränkung muss ich leider machen ...«
»Wann soll es sein, und wie geht es im Einzelnen vor sich?« Es war, als ob
Simonelle neue Kraft geschöpft hätte.
»Sie sind ein wohlhabender, einflussreicher
Weitere Kostenlose Bücher