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022

Titel: 022
Autoren: Flucht vor dem Teufel
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möchtest? Ist deine Schwester ernstlich erkrankt?"
    „Für den Moment ergeht es ihr gut genug."
    „Was bekümmert dich dann?"
    „Ich fürchte mich."
    Nach diesen Worten weiteten sich Auberys Augen. In den Jahren, seit Roger in den Dienst des alten Eroberers aufgenommen worden war, war sein Ruf hinsichtlich seiner Tapferkeit und seines Kampfgeschicks beinahe unübertrefflich geworden.
    Nein, es gab niemand Besseren - ausgenommen vielleicht Belesme. „Du fürchtest dich, Herr?"
    „Ja. Ich fürchte mich davor, alle meine Träume zerbrechen zu sehen, weil ich nicht weiß, ob ich die Macht habe, sie mir zu bewahren."
    Aubery starrte Roger an. Es war offenkundig, dass der Mann den kritischen Punkt der Erschöpfung überschritten hatte und an Verwirrung litt. Sein im Allgemeinen gebräuntes Gesicht wirkte bleich und eingefallen, und seine strahlenden blauen Augen hatten dunkle Ringe. Die Übermüdung machte jeden Zug seines Gesichts kantiger und tiefer.
    "Sieur, können wir nicht rasten?" fragte Aubery ruhig. „Du bist, wenn du nicht mehr im Sattel sitzen kannst, deiner Schwester nicht von Nutzen, ganz gleich, welchen Kummer sie hat."
    „Aubery, wie alt bist du?"
    „Siebzehn, Sieur, und das weißt du genau."
    „Und voller Sachverstand, Sir Knappe", erwiderte Roger müde. „Nun, ich glaube, ich schlage dich zum Ritter, ehe du Fontainebleau verlässt."
    „Und deine Worte, Sir Roger, ergeben keinen Sinn", entgegnete Aubery. „Mir bleiben noch Jahre in deinem Dienst, bis ich zum Ritter geschlagen werde."
    Aber Roger hatte aufgehört, ihm zuzuhören. Vor ihm lag die Furt, durch die man auf das Gelände der Abtei kam. Vor Anbruch der Nacht würde er Lea sehen. Der Schmerz zwischen seinen Schultern schien leicht nachzulassen, während er das Pferd zum Wasser lenkte.
    „Komm, wir sind fast da."
    Die Glocken erklangen beim Anblick sich nähernder, bewaffneter Reiter, zunächst langsam und dann mit wachsender Intensität, nachdem Rogers Banner erkannt worden war. Mutter Mathilde beendete hastig ihre Gebete und eilte so schnell, wie ihre alten Beine sie trugen, in den Hof.
    „Sieur!"
    Er schwang sich aus dem Sattel und machte einige unsichere Schritte. Ein halbes Dutzend seiner Männer eilte ihm zu Hilfe, doch er stieß sie beiseite. „Nein, lasst mich sein. Es ist alles in Ordnung mit mir."
    „Sieur ..." Mathilde war über sein Erscheinen beunruhigt.
    „Ehrwürdige Mutter." Er stolperte fast, als er sich hinkniete. „Ich bin hergekommen, um Demoiselle Eleanor zu sehen."

    „Roger!"
    Er benutzte sein Schwert als Stütze, während er sich erhob. In dem Moment, da er auf die Füße kam, lag Eleanor in seinen Armen. Tränen strömten ihr übers Gesicht, derweil sie die Wange an den Waffenrock schmiegte, den er über seiner Rüstung trug. „Oh, Bruder, ich wusste, du würdest kommen", flüsterte sie, die Hände in die Falten des Stoffes gekrallt.
    Die Äbtissin wusste nicht, ob sie sich über seine plötzliche Ankunft freuen oder deswegen verzweifelt sein solle. Sie war sicher gewesen, dass Eleanor kurz davor stand, sich Christus zu weihen, statt sich dem Comte de Belesme zu schenken. Gewiss konnte Roger FitzGilbert sehen, dass dies die einzige Hoffnung des Mädchens war. Doch während Mathilde die beiden beobachtete, die schwankend im Hof standen, nichts wahrnehmend außer sich selbst, empfand sie ein Gefühl des Unbehagens.
    „Roger. . ." Eleanor schaute ihm ins Gesicht. „Roger, du bist halb tot vor Erschöpfung. Aubery", rief sie dem Knappen zu. „Sir Hugh, Jean, kümmert euch um euren Herrn. Wirklich, Roger, du bist kurz davor, mir ohnmächtig vor die Füße zu fallen."
    „Nein, Lea. Ein Bad, ein Stück Brot und ein Bett, und dann bin ich morgen wieder in Ordnung."
    Eleanors Augen verengten sich. „Wann bist du aufgebrochen?"
    „Ich weiß es nicht. Gestern, vorgestern, denke ich."
    „Und du hast ihn sich das antun lassen?" Ungläubig drehte Eleanor sich zu Sir Hugh um. „Ich weiß, dass er es manchmal an Vernunft fehlen lässt, aber du?"
    „Ich habe es versucht, Demoiselle, indes wollte er nicht auf mich hören."
    „Hochwürdige Mutter, habe ich deine Erlaubnis, mich um meinen Bruder zu kümmern?" Das war eine rhetorische Frage. Nicht einmal eine strikte Verweigerung hätte Eleanor aufhalten können.
    Mathilde nickte. Bereits als Eleanor de Nantes in das Kloster gekommen war, war ihr klar geworden, dass es ein Band zwischen Bruder und Schwester gab, das weder eine Trennung noch ein Befehl durchtrennen
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