0221 - Der Todessee
Nacht war das Monstrum gekommen und hatte eine der beiden zu sich in die dunkle Tiefe geholt. So schrecklich dies auch war, für uns bot sich da eine Chance. Es mußte uns nur gelingen, das Ungeheuer zu locken.
Und das ging am besten, in dem wir uns als. Köder anboten und selbst eine Nacht dicht am See verbrachten. Vielleicht konnten wir sogar die gleiche Stelle nehmen. Das war ein Plan, dem Suko sicherlich auch zustimmen würde.
Ich wollte ihn fragen, als ich seine Schritte hörte und der Chinese neben mir stehenblieb. »Wir könnten das gleiche machen wie die beiden Mädchen«, erklärte er, »und hier die Nacht verbringen.«
»Das wollte ich auch sagen.«
»Dann sind wir uns ja einig.«
Ich warf die Zigarette ins Wasser, wo die Glut zischend verlöschte. Als ich Sukos Griff an der Schulter spürte, drehte ich mich um.
»John, da, sieh!«
Mein Freund deutete auf den See. Gar nicht weit hinter dem Schilfgürtel trieb etwas dicht unter der Oberfläche. Etwas Längliches, Helles…
Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich den Gegenstand erkannte. Es war ein menschliches Bein…
***
Es klopfte!
Karen White hörte es wohl, aber sie war zu erschöpft, um eine Antwort zu geben. So faßte die Frau die Gelegenheit beim Schopf und betrat das schlicht eingerichtete Zimmer, in dem nur ein Bett und ein Schrank standen.
»Möchten Sie etwas trinken?« fragte sie.
»Nein, nein«, gab Karen flüsternd zurück. »Danke, ich habe keinen Durst.«
Die Frau nickte lächelnd. »Gut, ich komme in einer halben Stunde noch einmal wieder.«
»Ja, tun Sie das.«
Die Frau verschwand. Sacht zog sie die Tür hinter sich zu. Karen White blieb wieder allein. Sie drehte ihren Kopf auf die Seite und spürte das tränennasse Kissen. Ja, sie hatte in den letzten Stunden viel geweint. Da war wieder alles hochgekommen, die gesamte schlimme Erinnerung, das Grauen, das hinter ihr lag und ihr Herz zusammen preßte. Manchmal hatte sie geschrien, denn immer wieder sah sie die gleichen Bilder vor ihrem geistigen Auge.
Ein schuppiges Monstrum, das Jill in die Tiefe zog, und dann das blaue Skelett, das aus der Nebelwand kam und mit seinem Boot Kurs auf sie nahm.
Schlimme, alptraumhafte Bilder, die von ihr kaum verkraftet werden konnten. Sie wußte nicht mehr, wie sie in dieses Haus gekommen war. Karen war einfach losgefahren, hatte irgendwann das Dorf erreicht, war aus dem Wagen gestiegen und schreiend die Dorfstraße hinuntergelaufen. Dieses laute Rufen hatte die Menschen aus ihrem Schlaf gerissen, und irgend jemand hatte sie dann aufgefangen, bevor sie ohnmächtig wurde.
Ja, so war es gewesen.
Und jetzt lag sie in diesem alten Holzbett, bedeckt mit einem dicken Oberbett. Sie wußte nicht einmal, in welcher Etage dieser Raum lag, es war ihr auch egal, sie wollte nur all das Schreckliche vergessen, das sie durchgemacht hatte.
Bisher war sie noch nicht aufgestanden. Allerdings konnte sie auch nicht für länger liegenbleiben, deshalb schwang sie die Beine über die Bettkante und setzte sich erst einmal hin.
In ihrem Kopf hatte sie ein dumpfes Gefühl. Sie stützte das Kinn in beide Hände, schloß für einen Moment die Augen, öffnete sie wieder und holte tief Luft.
Erst jetzt fiel ihr auf, wie stickig die Luft in dem Zimmer war. Hier hatte kaum jemand gelüftet, und ihr Blick fiel automatisch auf das Fenster. Es war quadratisch und sehr klein.
Als sie zwischen ihre Füße auf den Boden schaute, sah sie die alten, grau gestrichenen Holzdielen, die sich sogar ein wenig bogen, wenn Karen sie mit ihrem Gewicht belastete.
Auf zittrigen Beinen und mit einem Pudding-Gefühl in den Knien schritt sie zum Fenster. Rechts befand sich ein einfacher Metallgriff, den sie nur zu drehen brauchte, um das Fenster zu öffnen.
Das gestaltete sich als sehr schwierig. Sie mußte schon Kraft einsetzen, um es zu schaffen.
Dann konnte sie nach draußen schauen.
Etwas kühlere Luft drang an ihr Gesicht. Ein paarmal holte sie tief Atem, schloß die Augen und wünschte sich weit weg von hier. Es blieb nur ein Wunsch.
Als sie die Augen wieder öffnete, schaute sie in einen fremden Garten. Nicht sehr gepflegt, sondern eher verwildert. Man hatte die Pflanzen wachsen und wuchern lassen.
An der Rückseite wurde der Garten von einem einfachen Holzzaun abgegrenzt. Die Pfähle sahen schon brüchig aus, sie steckten tief im Boden. Vor dem Zaun wucherte das Unkraut hüfthoch.
Jenseits des Grundstücks begann eine Wiese, auf der zwei magere Ziegen Gras rupften.
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