0221 - Der Todessee
Insgesamt ein friedliches Bild, aber das Girl traute dem Frieden nicht. Sie hatte auch den Horror kennengelernt, der unsichtbar lauerte und den Frieden brutal zerstören konnte.
Karens Hände krampften sich zusammen. Noch einmal schaute sie nach draußen, dann wandte sie sich ab und steuerte wieder ihr Bett an.
Es schwankte. Karen White hatte das Gefühl, auf einem Schiff zu stehen, das bei hoher See durch das Meer pflügte. Sie merkte die Erschöpfung, die auch die Ruhe nicht hatte überdecken können, und sie schüttelte ein paarmal den Kopf, wobei sie ein seltsames Brausen im Schädel spürte, das immer mehr anschwoll und ein taubes Gefühl in ihren Ohren hinterließ, als es schließlich verklungen war.
Erschöpft ließ sie sich auf das Bett fallen, drückte ihren Rücken zurück und lag schließlich auf dem weichen Oberbett.
Schon fast einen ganzen Tag hielt sie sich in diesem Zimmer auf.
Sie trug noch immer die gleiche Kleidung, man hatte ihr nur die Schuhe ausgezogen, mehr war nicht geschehen. Ein paarmal hatte sie etwas getrunken, jetzt verspürte sie keinen Durst mehr.
Nur allmählich beruhigte sie sich wieder. Auch ihr Herzschlag nahm die normale Folge an, und sie dachte daran, daß Jills Eltern benachrichtigt werden mußten. Niemand hatte sie bisher vorn Tod ihrer Tochter aufgeklärt.
Es würde ein Schock für sie werden, denn Jill war das einzige Kind der beiden gewesen. Ihre Eltern hatten Karen sogar nahegelegt, auf Jill zu achten, und sie fürchtete, daß man ihr nun die Schuld am Tod des Mädchens geben würde.
Aber das konnten die anderen nicht, das ging zu weit. Nein, sie hatte…
Plötzlich richtete sich Karen White auf.
Sie hatte ein Geräusch gehört. Nicht innerhalb des Zimmers, es war draußen an der Rückseite des Hauses aufgeklungen. Ein seltsames Kratzen und Schaben.
Kam da jemand?
Karen drehte den Kopf, damit sie den quadratischen Ausschnitt im Auge behalten konnte. Sie hatte das Fenster nicht geschlossen, weil sie frische Luft haben wollte, nun bereute sie es, denn bei offenem Fenster konnte jemand leicht in das Zimmer einsteigen.
Noch war es Zeit, aufzustehen und das Fenster zu schließen, aber sie fand nicht die Kraft und den Mut, dies zu tun. Statt dessen hörte sie, wie etwas von außen gegen die Wand schlug.
Karen bekam Angst.
Unter dem Oberbett ballten sich ihre Hände zu Fäusten, auf der Stirn glänzte Schweiß, und sie fühlte, wie sie anfing zu zittern. Da kam jemand, da wollte einer was von ihr.
Sie schaute zur Tür.
Geschlossen war der Ausgang. Auch die Chance, daß jemand kam, war gering. Die ihr noch namentlich unbekannte Frau hatte von einer halben Stunde gesprochen.
Die war längst nicht um.
Schritte.
Ein leises, kaum hörbares Tapp Tapp klang durch das offene Fenster und erreichte ihre Ohren. Und die Schritte wurden lauter, ein Beweis, daß sich der Unbekannte näherte.
Wann würde er da sein?
Jetzt, in diesem Augenblick, denn Karen White sah, wie sich eine Gestalt in die Höhe schob und durch das offene Fenster auf sie und das Bett starrte.
Die Gestalt trug einen alten Hut. Weit war die Krempe in die Stirn gebogen, das Gesicht war zur Hälfte von einem wild wuchernden Bartgestrüpp verdeckt.
Karen kannte den Ankömmling.
Es war der alte Mann, der sie und Jill so deutlich gewarnt hatte.
Jetzt war er zurückgekommen, und er bewegte seinen rechten Arm, so daß er ihn durch das offene Fenster schieben konnte, denn in der rechten Hand hielt er eine Pistole, deren Mündung er auf die im Bett liegende Karen White richtete…
***
Ein Bein!
Herrgott, da schwamm ein Bein! Und nicht nur wir hatten es gesehen, auch die Männer.
Während Suko und ich ruhig blieben und erst einmal abwarteten, reagierten sie leicht panikerfüllt. Sie rannten weg von ihrem Boot und blieben erst in Höhe der alten Ruine stehen, von wo aus sie furchtsam in Richtung See schauten und heftig miteinander diskutierten. Wir hörten zwar einige Wortfetzen, aber wir achteten nicht weiter darauf, für uns war der schreckliche Fund wichtiger.
Suko und ich verständigten uns mit Blicken. Wir wollten nicht erst abwarten, bis das Bein angetrieben worden war, sondern es aus dem Wasser holen.
»Komm«, sagte ich nur. Fast hätte ich den Konstabler umgerannt, der als einziger stehengeblieben war. Als er sah, daß wir ins Boot wollten, versuchte er, uns aufzuhalten.
»Das können Sie nicht machen!« schrie er. »Sie begeben sich damit in eine große Gefahr. Sie…«
»Was hätten Sie denn
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