0221 - Der Todessee
ist…«
Karen White lachte auf. »Ein Knöcherner als Fährmann? Das glaubst du wohl selbst nicht.«
»Es war ja nicht immer ein Skelett. Vor vielen Hundert Jahren hat es auf seiner Fähre Menschen über den See gebracht. Aber der Mann war schlecht. Er hat sich immer genau angesehen, wen er an das andere Ufer schaffte. Waren reiche Kaufleute darunter, so hat er sie von seinem Floß ins Wasser gestoßen, denn er war einer der wenigen, die das Geheimnis des Sees kannten. Er wußte von dem Ungeheuer aus der Urzeit, das noch in dem schwarzen Gewässer haust. Und so hat der Fährmann der Bestie die Opfer gegeben und sich selbst bereichert. Er hat den Schmuck in der alten Burg — heute ist sie ja nur noch die Ruine — vergraben, und dabei muß er auf den geheimnisvollen Schlüssel gestoßen sein. Aber nicht jeder darf ihn nehmen. Der Schlüssel ist gesichert. Auf eine magische Art und Weise, und er hat seine Magie abgestrahlt. Der Mann ist zum Skelett geworden.«
Bei den letzten Worten der Erzählung hatte sich das Entsetzen auf dein Gesicht des Mädchens ausgebreitet. Verschwunden war Karens anfängliche Sicherheit, sie ahnte, daß etwas Schreckliches auf sie zukommen würde, und stotternd stellte sie die nächste Frage: »Dann soll ich mich opfern?«
»Du mußt es sogar, meine Liebe!«
»Nein!«
Der Mann vor ihr grinste. Karen nahm es nur an der Bewegung des Bartgestrüpps wahr. »Ich kann dir auch eine Kugel geben, meine Kleine. Glaub nur nicht, daß ich mich scheue. Ich habe lange Jahre auf diese Chance gewartet. Endlich ist sie in Erfüllung gegangen. Du wirst mir den Schlüssel zur Leichenstadt geben und auch die Schätze, die der alte Fährmann gesammelt hat.«
»Nein, nein, das geht nicht.« Karen wich zurück, wobei sie beide Arme ausstreckte. »Er kommt doch jeden Abend her.«
»Nein, nicht jeden Abend. Nur in einem bestimmten Monat des Jahres. Dann allerdings erscheint er jeden Tag, um nachzuschauen, ob der Schlüssel noch vorhanden ist. Wir werden ihn kommen lassen, und du wirst ihn dann verfolgen. Wenn er dann die geheimnisvolle Schatzkammer geöffnet hat, wirst du schneller sein und den Schlüssel zur Leichenstadt an dich nehmen.«
Karen White überlegte. Sie war ein junges Mädchen, das in einer modernen Welt seinen Mann stand. Sie hatte eine gute Schulausbildung hinter sich, wollte ein naturwissenschaftliches Fach studieren und stand der nicht exakten Wissenschaft immer sehr skeptisch gegenüber. In ihrem Leben hatte es niemals Geister oder Dämonen gegeben. Andere Dimensionen kannte sie nur als theoretisch berechenbares Exempel aus der Mathematik und war deshalb von der Erzählung des Alten nicht so recht überzeugt.
Überzeugt allerdings war sie von seinem Willen, sie zu töten, wenn sie nicht genau das tat, was er ihr aufgetragen hatte.
Eine Kugel war real, ein Revolver ebenfalls, ein Schuß und dessen Folgen ließen sich berechnen, aus diesem Grund kam ihr die Bedrohung des Alten viel realer vor.
Sie nickte. »Ja, ich werde es machen.«
Terrence lachte. »Es hätte auch keinen Sinn gehabt, sich zu weigern. Ich hätte sofort geschossen.«
»Dann wäre es Ihnen überlassen geblieben, den komischen Schlüssel zu holen.«
»Irgendwann wäre mir sicherlich jemand vor die Füße gelaufen, darauf kannst du dich verlassen.«
»Warum haben Sie uns eigentlich gewarnt?« wollte Karen wissen.
»Sie hätten ja nichts zu sagen brauchen.«
»Ich wollte doch, daß ihr da bleibt.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ganz einfach. Ich hatte genug Zeit, um euch zu beobachten. Ihr habt mir den Eindruck eines aufgeschlossenen modernen Teams gemacht, und ich wußte, daß ich mit meiner Warnung nur eure Neugierde anstacheln würde, aber nicht die Angst. Ich hatte recht. Ihr seid geblieben. Eine ist umgekommen, aber du reichst mir völlig, damit ein alter Traum endlich in Erfüllung gehen kann.«
Karen warf dem Alten einen schrägen Blick zu. War dieser Mensch noch normal, oder hatte sie es hier mit einem Verrückten zu tun?
Nein, Verrückte reagierten anders. Nicht mit dieser zwingenden Logik. Dieser Mann war nicht verrückt, sondern besessen. Ja, besessen von einer fast wahnwitzigen Idee.
Karen überlegte auch, ob sie dem Alten die Waffe nicht aus der Hand schlagen sollte. Sie war wesentlich jünger, auch kräftiger, und durch ihre Antwort, auf die Vorschläge des Alten einzugehen, hatte sie ihn in eine relative Sicherheit gewiegt. Zudem näherte sich die Minute der Entscheidung immer mehr. Der Alte war
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