0227 - Gefangen in der Totenstadt
Tina glaubhaft versichert hatte, daß die Welt des Unheimlichen tatsächlich existierte. Aber hier handelte es sich ja offensichtlich nicht um Gespenster. Das waren lebendige Menschen.
Sandra Jamis drückte sich in den Schatten der Mauer, die das Gräberfeld der Scipionen von der Straße abtrennte. Die elastischen Sohlen ihrer Turnschuhe machten auf dem groben Pflaster keine Geräusche, als das Mädchen den stumm dahinschreitenden Männern folgte.
Unheimlich und drohend erhob sich die alte Porta Appia aus der Dunkelheit. Ohne zu zögern, verschwanden die Kuttengestalten zwischen den nur noch zur Dekoration in den Angeln hängenden, eisenbeschlagenen Türflügeln, Sandra zögerte einen Augenblick. Hier innerhalb der Mauer, die einst Kaiser Aurelian zum Schutz gegen die Barbaren gebaut hatte, war sie noch relativ sicher. Hier waren noch Menschen in der Nähe. Hatte sie aber erst einmal das Tor durchschritten, dann war sie völlig auf sich allein gestellt. Denn hier endete die Stadt Rom.
»Du bist ein Jedi-Ritter!« flüsterte eine Stimme in ihr. »Und ein Jedi-Ritter muß sich immer eine Aufgabe stellen. Vertraue der Macht, die dich leitet… !«
Es waren dieselben Worte, die Tina ihr immer sagte, wenn sie sich zu Hause die selbstgewählte Aufgabe stellten, allein durch einen nachtdunklen Fichtenwald zu gehen oder bei Vollmond über eine Friedhofsmauer zu klettern und den Gottesacker zu überqueren.
Und diese Worte hatten sich in ihrem Inneren so festgesetzt, daß sie wirklich glaubte, der Einflüsterung einer inneren Stimme, der Macht, zu lauschen.
Daß sie nur ein schwaches Mädchen war und weder eine Waffe noch die geringste Ahnung in diversen Künsten der Selbstverteidigung besaß, übersah sie geflissentlich.
Wie vor einigen Monaten ihre Freundin Tina Berner der Spur der Leichenfresser folgte, so huschte sie hinter den Unheimlichen in den Kapuzenmänteln her.
Leichtfüßig lief sie durch die Porta San Sebastiano. Nun lag das freie Feld vor den Toren Roms vor ihr. Und die Via Appia Antica.
Ohne sie zu bemerken, gingen die Kapuzenmänner vor ihr her. Soweit es eben ging, nutzte Sandra jede Deckung und jeden Schatten aus, damit sie nicht entdeckt wurde.
Das letzte Gebäude lag einige hundert Meter links an der Straße. Sandra Jamis wußte nicht, daß sie soeben an der Kapelle »Quo vadis, domine« vorbeiging. An diesem Ort erschien Christus dem Petrus, als er während der ersten Christenverfolgung unter Kaiser Nero aus Rom fliehen wollte.
Aber das Mädchen war von einer besonderen Art Jagdfieber gepackt. Sie achtete nicht darauf, daß die Lichter der Millionenstadt Rom langsam hinter ihr in der Dunkelheit verschwanden, daß sie das gewaltige, runde Grabmal der Cecilia Metella passierte und sie den Unbekannten immer weiter ins Ungewisse folgte.
Rechts und links der Straße tauchten jetzt die bekannten Grabmale der altrömischen Patrizierfamilien auf. Langsam begannen Sandra Jamis die Füße weh zu tun. Sie war schon den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Ein Blick auf das Leuchtzifferblatt ihrer Armbanduhr sagte ihr, daß sie den Kuttengestalten bereits seit über einer Stunde folgte.
Sandra murmelte ein nicht gerade typisch mädchenhaftes Wort. Sie hatte in ihrem Eifer ja gar nicht daran gedacht, daß sie diesen Weg auch wieder zu Fuß zurücklegen mußte. Das mochte noch ein verdammt harter Marsch werden.
Abenteuer hin und die Ehre der Jedi-Ritter her. Sie war müde und hungrig. Der Magen verlangte nach einer doppelten Portion Spaghetti oder einer Riesenpizza und der Körper nach einem Bad und dann nach einem Bett. Mochten diese Vermummten doch nach Mekka gehen und die Sonne putzen - sie, Sandra Jamis, ging jetzt auf dem schnellsten Weg zurück ins Hotel.
Entschlossen drehte sich das Mädchen um.
Und dann weiteten sich seine Augen in namenlosem Entsetzen.
»Sie spioniert uns nach!« kam eine knöcherne Stimme aus der Dunkelheit. »Packt sie…!«
***
»… Aber dann, als die ewigen Mächte wieder einmal das Stundenglas hoben, war auch die Zeit der Elben vorbei!« erklärte Pater Aurelian. »Aber die Elementargeister erfüllten den Pakt, den sie mit Glarelion, dem letzten Hochkönig der Elben, geschlossen hatten, und nahmen ihn und sein Volk in sich auf. Seit dieser Zeit ist das Volk der Elben in der Natur zu Hause. Über die Welt aber breitete sich der Schatten finsterster Zauberei aus. Für die Dauer eines gräßlichen Äons zuckte die Erde unter der Geißel des Hexenreiches von Atlantis. Und der
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