0228 - Der Leichenpfad
sie gemacht hatte, war schrecklich.
Chris war so weit zurückgewichen wie eben möglich. In der Küche befand sich noch eine kleine Anstellkammer, deren Tür stand offen und herausgekippt war eine kopflose, halbverweste Leiche…
***
Auch die beiden jungen Männer packte das Entsetzen. Totenblaß wurden sie und preßten ihre Hände gegen die Lippen. Was da vor ihnen lag, konnten sie kaum ansehen. Es war zu grauenhaft.
Chris schrie nicht mehr. Sie stand auf dem Fleck wie eine Steinfigur. Dann schüttelte sie den Kopf, schaute ihre Freunde an, und das Gesicht verzerrte sich.
Frank wußte, daß er jetzt etwas tun mußte. Er konnte Christine nicht allein lassen, ging zu ihr, wobei er über die Leiche steigen mußte und faßte sie an beiden Schultern, damit er ihr die Sicht auf den kopflosen Toten nahm.
»Frank!« flüsterte das Mädchen. »Mein Gott, Frank, sag, daß ich mich irre…«
Frank Göpfert schüttelte den Kopf. Er wollte das Gegenteil erwidern, aber er konnte auf einmal nicht sprechen. Wie zugeschnürt war seine Kehle.
Kein Irrtum!
Die Leiche gab es tatsächlich. Sie war ebenso Realität wie der Kopf, der auf dem Pfahl gesteckt hatte.
Hinter sich hörte er Ralf würgen. Dann rannte der junge Mann, er konnte den Anblick nicht mehr ertragen. Frank hörte, wie im unteren Bad das Wasser rauschte.
Christine hatte ihr Gesicht gegen seine Schulter gepreßt. Sie weinte leise. In diesen Momenten fühlte sich Frank Göpfert überfordert. Er hatte es geahnt, der Kopf war gefunden worden, also gehörte noch ein Körper dazu, aber daß er gerade in einem Abstellschrank versteckt worden war, damit hatte er nie gerechnet.
Grauenhaft…
»Wir können hier nicht bleiben«, flüsterte Frank Göpfert seiner Freundin ins Ohr. »Komm mit.«
»Aber wohin?«
Das wußte Frank im Moment selbst nicht. Nur weg aus der Küche wollte er. Der Raum — er war ziemlich groß — besaß zwei Türen.
Eine führte in die große Diele, eine zweite in einen schmalen Gang, wo sich auch die Tür zum Keller befand.
Und von dort hörten sie Schritte.
Zuerst dachte Frank an seinen Vetter Ralf, doch der ging nicht so schwer. Außerdem hallten seine Schritte nicht so nach. Das mußte ein anderer sein.
Plötzlich bekam Ralf es mit der Angst zu tun. Es gab für ihn nur eine Möglichkeit, wenn Ralf es nicht war, der sich der Küche näherte. Dann der Unheimliche, der wieder zurückgekommen war.
Plötzlich begann der junge Mann zu zittern. Er schrie nach seinem Vetter, sogar Chris zuckte zusammen, als sie seine sich überschlagende Stimme vernahm, sie drückte ihren Freund zurück.
»Was ist denn los?«
Frank zog sie einfach mit. Ihm war es egal, ob sie den kopflosen Toten sah oder nicht. Sie mußten weg, so rasch wie möglich.
»Komm, da ist jemand im Haus…«
Im selben Augenblick flog die Tür auf, und Frank Göpfert stellte mit Entsetzen fest, daß er viel zu spät reagiert hatte. Auf der Schwelle stand eine unheimliche Gestalt.
Der alte Göpfert!
***
Pfarrer Schmitz!
Ich hatte ihn nie gesehen, nur von ihm gehört. Er hatte ein mutiger Mann sein sollen in den schweren Zeiten des Krieges.
Dann war er plötzlich verschwunden. Keiner der Dörfler wußte, wo er sich hingewandt hatte. Jeder rechnete damit, daß auch er umgekommen war, nun aber befand er sich in meiner Nähe.
Ich sah ihn noch immer nicht, sondern nur seinen Umriß, einen düsteren Schatten zwischen zwei halb verfallenen Mauern.
»Warum zeigen Sie sich nicht?« fragte ich.
»Sie würden einen Schreck bekommen.«
»Das glaube ich nicht. Ich bin viel gewohnt.«
»Ich weiß es.«
»Woher?«
»Keiner aus dem Dorf hätte sich getraut, den Totenpfad und den Friedhof zu betreten. Ich habe euch beobachtet und auch den Kampf gegen die Weiße Frau gesehen.«
»Ist sie erledigt?«
»Nein, nein, leider nicht. Dann hätte auch ich meine Ruhe gehabt. So aber muß ich weiter umherirren, bis zum Ende aller Tage oder bis jemand kommt, der die Weiße Frau vernichtet.«
»Das habe ich vor.«
»Ich weiß es, aber es wird sehr, sehr schwer sein, junger Freund. Das sage ich Ihnen.«
»Darf ich jetzt zu Ihnen kommen?« fragte ich.
»Aus welch einem Grund? Wir können uns doch auch so unterhalten oder nicht?«
»Ich möchte Sie gern sehen.«
Eine Zeitlang hörte ich nichts. Dann erklang wieder die Stimme des Pfarrers. »Gut, Sie können zu mir kommen. Zu einem Versager, wie ich es bin.«
Das klang nicht gut, und es hörte sich an, als wollte der Pfarrer aufgeben. Davor
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