0228 - Der Leichenpfad
Verurteilter, ein Versager. Deshalb!«
»Nein, du bist ein Opfer!«
Er ließ den Arm sinken, warf den Kopf zurück und schaute in den langsam grau werdenden Himmel. »Ein Opfer? Ich habe den Herrgott verraten, das Kreuz hat mich verlassen, unter seinem Schutz stehe ich nicht mehr, und ich gehorche nur noch ihr, der Weißen Frau.«
»Auch in diesem Moment?«
Da bewegte er seinen Kopf und schaute mich an. »Wie meinst du das?«
»Bist du jetzt, wo du mir alles berichtet hast, auch noch ihr Diener?«
»Ich…ich…«
Das Wesen tat mir leid. Es konnte nicht leben und auch nicht richtig sterben, da es sich in einem Zwischenstadium bewegte.
Aber ich sollte bald eine Lösung präsentiert bekommen, denn wie aus dem Nichts erschien plötzlich dieser Nebelstreif, und er schwebte über dem Kopf des Pfarrers, wobei er sich zu einer Spirale zusammendrehte, die gedankenschnell vor den Augen des Pfarrers hinweghuschte und mir keine Zeit ließ, etwas zu unternehmen.
Der Plasmastreifen verschwand im Mund des ehemaligen Geistlichen.
Für einen Moment stand Pastor Schmitz stocksteif. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck auf eine erschreckende Art und Weise. Er zog den Mund breit und stieß ein düsteres Knurren aus, das mit den Geräuschen zu vergleichen war, die man auch von Tieren kennt. Drohend, gefährlich und tödlich klang es, wurde zu einem hohen Heulen und Pfeifen, so daß ich das Gefühl bekam, den Pfarrer überhaupt nicht mehr selbst reagieren zu sehen, sondern eine andere — die Weiße Frau…
Ja, sie steckte in ihm.
Mußte ich jetzt beide töten? Es war eine Zwickmühle, in der ich mich befand. Die Antwort brauchte ich mir nicht zu geben, die gab mir der Pfarrer auf seine Art und Weise.
Er bewegte seinen rechten Arm, hielt plötzlich einen Stein zwischen den Fingern, schleuderte ihn vor und warf sich im gleichen Augenblick auf mich zu…
***
Der alte Göpfert rührte sich nicht. Er stand unbeweglich auf der Türschwelle, eine schreckliche Gestalt mit einem verwüsteten Gesicht, grauer Haut und bleichen Haaren.
Ein Monstrum…
Ralf Göpfert hieß er, wie sein Nachkomme, und Frank stellte mit Entsetzen fest, daß dieses Wesen nicht atmete. Es war kein Mensch mehr, sondern ein Toter, der lebte.
Ein Zombie!
Jetzt wußte Frank Bescheid. Und er erinnerte sich, daß er in Köln während seiner Freizeit einige Male im Kino gewesen war und entsprechende Zombie-Filme gesehen hatte.
Die Wesen in den Filmen hatten ähnlich ausgesehen wie dieses hier, er dachte an die Schrecken, die er auf der Leinwand vom sicheren Kinosessel aus erlebt hatte.
Aber das hier war echt.
Kein Film, Realität…
Wie auch das Zittern seiner Freundin, um deren Schultern er seinen Arm gelegt hatte. Chris mußte Furchtbares durchstehen.
Ihre Angst war kaum zu beschreiben, und es glich schon einem Wunder, daß sie nicht losschrie.
Göpfert wollte töten!
Das wurde Frank in diesen Augenblicken klar, denn auch im Film hatten die lebenden Leichen nichts anderes im Sinn gehabt.
Zudem brauchte er nur an die beiden Toten zu denken, dann wußte er, was auch ihnen bevorstand.
Kamen sie noch weg?
Zum Glück verhielt sich Christine ruhig. Die Angst hatte ihr einen regelrechten Schock versetzt, aber er hörte die Schritte seines Cousins Ralf, der zurück kam und sicherlich nachschauen wollte, was sich in der Küche abspielte.
»Ralf!« Frank schrie den Namen, ohne es sich recht bewußt zu werden. »Vorsicht!«
Die Schritte verstummten. Dann erklang Ralfs Stimme. »Was ist denn los bei euch?«
»Bleib da, wir kommen!«
Frank Göpfert hatte den letzten Satz kaum ausgesprochen, als sein untoter Verwandter schon reagierte. Diesmal hatte er lange genug gezögert, denn er merkte, daß ihm die beiden sonst noch entkamen.
Mit zielsicheren Schritten bewegte er sich vor. Dabei hielt er die Arme ausgestreckt, wie Greifer waren seine Hände, damit sie die Opfer packen konnten.
Allein wäre es für Frank Göpfert kein Problem gewesen, das Zimmer zu verlassen, aber er trug noch die Verantwortung für das Mädchen, das er in seinen Armen hielt, und Chris reagierte nicht so schnell wie der junge Mann.
Frank mußte sie noch mitschleifen und schleuderte sie herum, damit sie, von dem Schwung getragen, durch die Tür in den Gang taumeln konnte.
Der Vorsatz war gut gewesen, die Ausführung weniger, denn in der Hektik des Augenblicks verfehlte Chris die Tür und krachte gegen den dicht daneben stehenden Kühlschrank. Bevor sie sich wieder gefangen
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